Die unfromme Legende vom „Entschädigungsanspruch der Kirchen“
Der „Skandal“ um den ausgabenfreudigen Limburger Bischof Tebartz-van Elst könnte Nichtmitgliedern der Römisch-Katholischen Kirche völlig egal sein, wenn es nicht einen tatsächlichen und auffällig selten in Mainstream-Medien thematisierten echten Skandal gäbe:
Fast alle Bischofsgehälter der beiden „großen Kirchen“ werden Deutschland aus allgemeinen Steuermitteln bezahlt (und nicht etwa aus den Kirchensteuern)! Also auch von Nichtmitgliedern.
An und für sich sind schon die die allgemein bekannten Regelungen, dass der Staat für die christlichen Kirchen in Deutschland die Kirchensteuer einzieht oder dass er den kirchlichen Trägern Entgelte oder Erstattungen für Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen oder für die Denkmalpflege zahlt, unter dem Gesichtspunk Trennung von Staat und Kirche, zumindest fragwürdig.
Nicht nur fragwürdig, sondern skandalös, und in der Öffentlichkeit viel zu wenig bekannt bzw. gegenüber der Öffentlichkeit verschleiert, ist es, dass die Bundesländer (mit Ausnahme von Hamburg und Bremen) aus ihren Haushalten auch einen Großteil der Gehälter der obersten kirchlichen Würdenträger übernehmen.
Das gilt für Erzbischöfe, Bischöfe, Weihbischöfe oder Domvikare – nicht aber für einfache Geistliche und sonstige kirchliche Mitarbeiter. Deren Gehälter zahlen die Bistümer aus dem allgemeinen Kirchensteueraufkommen.
Die Gehälter der Kirchenoberen entspicht der Besoldung hoher Staatsbeamter, ist also kein Pappenstiel: Ein Bischof wird in der Regel mindestens entsprechend Besoldungsstufe B6 (Grundgehalt rund 8000 Euro) bezahlt, bei einem Erzbischof kann das Gehalt bis auf B10 (Grundgehalt rund 11.000 Euro) steigen. Dazu kommen Dienstwagen mit Fahrer und die Dienstwohnung.
Im vergangenen Jahr gingen auf diese Weise fast 475 Millionen Euro an die römisch-katholische und evangelische Kirche. Seit Gründung der Bundesrepublik im Jahre 1949 ergab das bisher eine Summe von rund 14,8 Milliarden Euro.
Hinzu kommt, dass wegen der im Grundgesetz ebenfalls festgeschriebenen Trennung von Kirche und Staat diese Regelungen ein Systembruch sind, der schon längst hätte beseitigt werden müssen.
Wie kam es dazu?
Im Artikel 140 des Grundgesetzes steht:
Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.
Diese Artikel der Weimarer Verfassung schützen nicht nur die Religionsfreiheit und die Sonntagsruhe und schreiben fest, dass es keine Staatskirche gibt, sie sichern den Kirchen auch erhebliche finanzielle staatliche Leistungen, unter anderen die erwähnten Gehälter hoher geistlicher Würdenträger.
Im Artikel 138 der Weimarer Verfassung heißt es:
“Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst.
Damit wurden auf unaufällige Weise die Staatsleistungen des Kaiserreiches für die Kirchen gesichert – die wiederum auf den Staatsleistungen der alten Territorialfürstentümer beruhen.
Die Begründung für diese Zahlungen liegt bereits mehr als 200 Jahre zurück. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts haben die Kirchen zahlreiche Güter im Zuge der Säkularisierung an den Staat, d. h. die Territorialfürsten, verloren. Diese Säkularisationen gehen indirekt auf die französische Revolution, direkt auf Napoleons Machtpolitik zurück. In denen ins Kaiserreich Frankreich eingegliederten westrheinischen Gebieten wurde 1802 säkularisiert, östlich des Rheins 1803. Nutznießer waren eben jenen Fürsten, die die Französische Revolution eigentlich stürzen wollte.
Die übliche Erklärung für die staatlichen Leistungen an Religionsgemeinschaften ist, dass sie quasi eine „Entschädigung“ für die Enteignungen von anno 1802-03 wären.
Selbst wenn diese Behauptung wahr wäre, müsste man sich ernsthaft die Frage stellen, ob eine Enteignung im Jahre 1803 üblicher Zeitrechnung heute noch üppige Zahlungen rechtfertigt.
Die Zahlungen an die Kirche sind aber keineswegs „Entschädigungen“ wegen Enteignungen. Tatsache ist, dass vor allem Klöster wirklich enteignet wurden, aber Klostereigentum war nie Eigentum „der Kirche“, sondern stets des jeweiligen Ordens. Die Klöster bekamen aber keine Entschädigung.
Ebenso wurde Eigentum der evangelischen Kirche nicht angetastet, trotzdem werden auch ihre Bischöfe vom Steuerzahler finanziert. Warum?
Bei der Säkulisierung der Kirchengüter in den Fürstentümern handelte es sich nicht um Enteignung von Eigentum, sondern um Lehen, die die damals noch feudalistisch organisierten deutschen Länder zurückgefordert hatten.
(Das ist auch der Grund, wieso in Bremen und Hamburg die Bischöfe nicht vom Staat bezahlt werden. Die „Freien Reichsstädte“ waren die einzige Republiken auf dem Territorium des untergehenden „Heiligen Römischen Reiches“, sie hatten kein feudales Lehnswesen mehr. Bis auf Bremen und Hamburg haben aber alle ehemaligen „Freien Reichsstädte“ ihre Eigenständigkeit seither verloren.)
Die Kirchen besitzen keinerlei Anspruch auf diese Zahlungen aufgrund irgendwelcher „Enteignungen“!
Das lässt sich im Vertrag von 1803 nachlesen. Im feudalen Staat lebten weltliche und geistliche Vasallen durch die Einkünfte aus den an sie verliehenen Güter. Durch den Einzug der Lehen besaßen die Bischöfe keine Möglichkeit mehr, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
Daher wurde festgelegt, dass der Staat bis zum Lebensende der damaligen Bischöfe für ihren Unterhalt zu sorgen hat.
Gemäß Wortlaut ist mit dem Tod des letzten Bischofs, der 1803 im Amt gewesen war, dieser Vertrag hinfällig geworden.
Die nutznießenden Kirchen, bzw. in ihrem Interesse handelnde Politiker, verstanden es aber, diese Zahlungsansprüche durch immer neue komplizierte Verträge und Gesetze abzusichern. Selbst beim Beitritt der ehemaligen DDR wurden diese Regelungen nicht wirklich in Frage gestellt. Die Staat-Kirche-Verträge der ostdeutschen Bundesländer haben diese Zahlungen, die in der Sowjetischen Besatzungszone nach 1945 abgeschafft wurden und die es infolgedessen auch in DDR nicht gab, wieder eingeführt. In allen Bundesländern gibt es sehr unterschiedliche Regelungen, in denen zum Teil die Gehälter direkt übernommen, zum Teil Pauschalzahlungen geleistet werden.
Sarkastisch ausgedrückt: Ein Fall von wirklich gelungener Lobbyarbeit.
Wenn in den ins Grundgesetzt übernommenen Artikeln der Weimarer Verfassung steht, die Zahlungen seien „abzulösen“, heißt das übrigens nicht, dass diese nur durch eine hohe Ablösesumme geschehen kann, vor der sich die klammen Bundesländer natürlich fürchten. Denn grundsätzlich könnten die auf dem Vertrag von 1803 beruhenden Verträge gekündigt und die entsprechende Gesetze geändert werden. Auch eine symbolische Ablösesumme von 1,- Euro wäre denkbar. Aber dazu bedürfte es eines entschiedenen politischen Willens zur wirklichen Trennung von Staat und Kirche.
Nachtrag: Gegenüber der römisch-katholischen Kirche sind übrigens die Zahlungen im Reichskonkordat von 1933 zwischen (Nazi-)Deutschland und dem Vatikan geregelt. Es ist der einzige Vertrag aus der Nazizeit mit außenpolitischer Wirkung, der heute noch gültig ist.
Danke für diesen dichten Artikel! Ich wußte cage, dass es da was gibt, aber es so aufgedröselt zu lesen ist toll (ja, ich hätte längst selber mal recherchieren können… hab ich aber nicht) Danke
Ich darf noch etwas Öl ins Feuer gießen: Der Entschädigungsanspruch 1803 war auch schon unbegründet.
Nach feudalistischem Recht vergibt der Landesherr ein Lehen – also eine Leihe (gleiche Wortwurzel). Mit dem Tod des Vasallen fällt es automatisch an den Lehnsherren zurück. Ausnahmsweise kann ein Lehen auch wieder an den direkten Nachfahren des Verstorbenen gehen. So entstehen scheinbar erbliche Lehen. Aber de jure muss jeder neue Vasall erst wieder neu belehnt werden.
Es gab also überhaupt nie einen juristischen Anspruch auf Entschädigung. Wenn man ein Leihgut zurückgibt, hat man keine Ansprüche an den Besitzer. Das war lediglich ein Entgegenkommen der jeweiligen Landesherren.
Brutal gesagt: Wir bezahlen also bis heute Bonzen dafür, dass sie vor 200 Jahren etwas zurückgaben, was sie sich vor 800 Jahren ausgeborgt hatten. 🙂
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