Gjallarhorn Weblog

Die Nazis und die Intelligenz

Vorweg; Es geht darum, dass Ergebnisse der Intelligenzforschung von Rassisten, überwiegend, aber nicht nur, aus dem rechtsextremen Spektrum, missbraucht werden.
(Es geht also nicht um die Intelligenz der Nazis selbst. Was bei sehr vielen Nazis gewiss ein trübes Kapitel wäre …)

Zu den „Missbrauchern“ zähle ich auch Populisten wie den begabten Buchverkäufer Thilo Sarrazin. Es stimmt ja schon, dass es in der Intelligenzforschung einen breiten Konsens darüber gibt, dass sowohl Vererbung als auch Umwelteinflüsse bei der Intelligenzentwicklung eine Rolle spielen. Laut wikipedia reichen, einem Review von 2010 zufolge, die Schätzungen über den genetischen Anteil der Varianz von Intelligenz von 30 bis 80 %. Wenn Thilo Sarrazin also behauptet, dass Intelligenz zu 50 – 80% vererbt sei, liegt er also gar nicht einmal so falsch. Mir ist aber leider nicht bekannt, was unsere Sozialrassisten von einer schon einige Jahre alten Studie des experimentellen Psychologen Eric Turkheimer halten. Demnach spielt für die Erblichkeit der Intelligenz die soziale Klasse eine große Rolle. In der Mittelschicht ist Intelligenz zu einem großen Teil erblich, in der Unterschicht jedoch nicht. Turkheimer zufolge führen die schlechten Umweltbedingungen in der Unterschicht dazu, dass die Kinder ihr genetisch vorgegebenes Potential nicht entwickeln konnten. (Genes’ Sway Over IQ May Vary With Class (Washington Post, 2 September 2003) Auch andere Studien deuten darauf hin, dass es leider einfach ist, potenziell intelligente Kinder zu „verdummen“: durch schlechte Ernährung, Krankheiten, eine monotone Umgebung, fehlende Sozialkontakte, fehlende Förderung und vielen andere Umweltfaktoren mehr.
Davon abgesehen ist die übliche Definition von Intelligenz nicht ganz unumstritten. Die üblichen Intelligenztests erfassen z. B. längst nicht alle Bereiche der menschlichen intellektuellen Leistungen. Ranga Yogeshwar erwähnte in einer Diskussion mit Sarrazin das Konzept von „unterschiedlichen Intelligenzen“, unterschiedliche Menschen könnten auf unterschiedliche Weise intelligent (oder dumm) sein. Die bekannte „soziale Intelligenz“ wäre ein Beispiel für eine mögliche Komponente, die von den üblichen Tests nicht abdeckt werden kann. Allerdings fehlt (noch) eine eindeutige Definition so einer „multiplen Intelligenz“. Unnötig eigentlich zu erwähnen, dass „intelligent“ nicht gleichbedeutend mit „klug“ oder gar „weise“ ist. Viel zu Wissen nützt ohne ein Mindestmaß an Intelligenz wenig, und wer zwar sehr Intelligent ist, aber wenig weiß, ist im Leben schlecht dran.

Aber es soll hier ja in erste Linie nicht um populistische „Man-wird-ja-wohl-noch-sagen-dürfen“-Sager vom Schlage Sarrazins oder Heinsohns gehen, sondern um richtige Nazis.

Der umstrittene Intelligenzforscher Volkmar Weiss behauptete

Hitler war gegen Intelligenztests, die er nur als ‚jüdische Tests‘ bezeichnete, weil die Juden dabei stets so gut abschnitten.

Der Intelligenzquotient der Türken („Die Welt“)

Einen Beleg für diese Behauptung blieb er schuldig (während es für seine von der „taz“ behauptete Nähe zu Rechtsextremisten sehr wohl Belege gibt).
Abgesehen davon, dass Intelligenztests in den 1920er und 1930er Jahren noch wenig verbreitet und nach heutigen Maßstäben wenig brauchbar waren, gehörte der „teuflisch intelligente“ oder „gefährlich schlaue“ Jude zu den üblichen Propagandaklischees der Nazis. In Hitlers Rassenantisemtismus, wie er z. B. aus „Mein Kampf“ ablesbar ist, ist „der Jude“ geradezu der „negative Übermensch“, dem „Arier“ als „positivem Übermenschen“ entgegengerichtet. Dass die Intelligenz, wie alle Charaktereigenschaften, für die Nazis „im Blut“ lagen, brauche ich wohl nicht weiter ausführen. Folglich war Auslese, und nicht etwa Förderung, das Prinzip der NS-Eliteschulen, wie den Nationalpolitischen Lehranstalten (NapoLa).
Daraus, dass die NS-Propaganda „das gesunde Volksempfinden“ und „die Instinkte des einfaches Mannes“ betonte und „blutarmer Büchergelehrsamkeit“ gegenüberstellte, und dass für die Aufnahme in eine Napola zuerst die „rassische“, an zweiter Stelle die charakterliche, dann die körperliche und erst dann die intellektuelle Eignung ausschlaggebend war, sollte man nicht schließen, dass die Nazi-Elite eine Aversion gegen Intelligenz gehabt hätte. (Schließlich wäre ein „rassisch einwandfreier“, athletisch gebauter Blondschopf mit nur durchschnittlichen geistigen Leistungen nicht in eine Napola aufgenommen worden – und erst recht kein „geistig Unterbelichteter“.) Die Verachtung für „körperlich schwächliche Intellektuelle“ (wie Joseph Goebbels?) ging einher mit dem von den Nazis gern und falsch zitierten Ausspruch Juvenals: „Gesunder Geist in einem gesunden Körper“. Nur sollten die gesunden und intelligenten „Volksgenossen“ bitte schön „charakterlich einwandfrei“ sein (war vor allem hieß: unbedingt loyal zum „Führer“ und dem NS-System ergeben). Selbstständiges und ideologiefreies Denken war nicht gewünscht. Ich vermute deshalb, dass die Napolas und andere NS-Elite-Internate auch dem Zweck dienten, Hochbegabte von den Einflüssen ihres Elternhauses und einer im NS-Sinn nicht „zuverlässigen“ Umgebung zu isolieren. „Ungezähmte“ Intelligenz ist gefährlich für einen Diktaturstaat.

Die „modernen“ Nachfolger der alten Nazis missbrauchen die Ergebnisse der Intelligenzforschung für ihre rassistische Agenda. Dass sollte auf keinen Fall dazu führen, dass die Intelligenzforschung an sich als „rassistisch“ gebrandmarkt werden sollte, selbst wenn einige ihrer Ergebnisse Wasser auf die Mühlen von Rassisten sein könnten. In letzter Zeit trifft das besonders auf die von Richard Lynn und Tatu Vanhanen in ihrem Buch IQ and the Wealth of Nations aufgeführten IQ-Ergebnisse des als (relativ) kulturneutral geltenden Raven-Tests für 81 Länder zu. Der Durchschnitts-IQ allen Länder zusammen ist danach 91 (Definitionsgemäßer Durchschnitts-IQ: 100). Am höchsten sind danach die Ergebnisse in Ostasien (IQ 104 +- 3), darauf folgen die europäisch-weißen Populationen von Amerika, Europa und Australien (IQ 97 +- 5), und schließlich Subsahara-Afrika (IQ 69 +- 8). Inwieweit die gemessenen Unterschiede von ererbten und von umweltbedingten Faktoren abhängen, ist durchaus strittig. Vor allem die schlechten Afrika-Ergebnisse legen nahe, dass hier viele Menschen unter schlechten Bedingungen aufwachsen und daher nicht ihr genetisch vorgegebenes Potenzial erreichen. Für einen negativen Umwelteinfluss der Armut spricht, dass der Durchschnitts-IQ der in Lynns/Vanhanens Buch untersuchten Länder stark mit dem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf korreliert. Der „Vorsprung“ der Ostasiaten gegenüber den „Weißen“ könnte aber tatsächlich teilweise genetisch bedingt sein (was Nazis vermutlich nicht passen dürfte).
Wie auch immer: in jeder menschlichen Population ist gesamte mögliche Bandbreite der Intelligenz abgedeckt. Selbst wenn askenasische Juden tatsächlich eine besonders hohe Durchschitts-Intelligenz haben sollten, kann ein einzelner askenasischer Jude ein ausgesprochener Dummkopf sein. Es ist grundsätzlich nicht möglich, die Intelligenz eines Menschen an seiner „Ethniezugehörigkeit“ (oder „Rasse“, Kultur, Klasse, Geschlecht, Haarfarbe usw. usw.) abzulesen.

Tatsächlich wäre die seriöse Intelligenzforschung dabei von Nutzen, die Schlussfolgerungen der Rassisten und Sozialrassisten zu widerlegen. Wäre, denn momentan sieht es leider ganz so aus, als hätte die Intelligenzforschung als solche (wie übrigens auch die Humangenetik) den Ruf „rassistisch“ oder zumindest voreingenommen zu sein. Es gibt außerdem Antirassisten, die meinen, dass man besser nicht öffentlich über Intelligenzforschung sprechen sollte, da deren Ergebnisse allzu leicht Diskriminierung und Rassismus bestärken könnten. Ich halte es deshalb für nicht abwegig, dass viele, die etwas gegen schräge rassistischen Behauptungen zu sagen hätten, lieber den Mund halten. Dass Neonazis aus naheliegenden Gründen sich ihnen passender Forschungsergebnisse bemächtigen und sie in ihrem Sinne zurechtinterpretieren, spricht nicht gegen diese Forschungsergebnisse.
Im Gegenteil: wenn man zu rassistischen Fehlinterpretationen der Intelligenzforschung schweigt, womöglich aus Angst, auch „zu denen“ gezählt zu werden, dann verliert man Boden gegenüber den Nazis.
(Ein Parallelbeispiel ist die Runenforschung: Runen sind pauschal „NS-verdächtig“, was die Auseinandersetzung mit ihnen nicht eben leicht macht. Ein wesentlicher Grund dafür, dass die meisten in Deutschland erschienenen Runenbücher bestenfalls esoterische Spekulation, schlimmstenfalls den rassistischen Unsinn der „Hauptideenlieferanten“ der Nazis, der Ariosophen, enthalten, liegt darin, dass sich kaum ein wissenschaftlich seriöser Autor traut, mit einem populären Runenbuch seinen Ruf zu ruinieren. Allerdings ist Intelligenzforschung gesellschaftlich deutlich relevanter als Runenkunde.)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert