Der Quatschfinder
In seinem Buch „The Demon-Haunted World: Science As a Candle in the Dark“ (dt. „Der Drache in meiner Garage oder Die Kunst der Wissenschaft, Unsinn zu entlarven“) gab der 1996 verstorbene amerikanische Astronom Carl Sagan eine Reihe von Leitlinien und Hilfsmitteln an, um wissenschaftliche Diskussionen auf Schwachstellen, Blödsinn und/oder fragwürdige Argumente hin zu überprüfen. Auf der Website der Sagan Associates wurden diese zu einem „Baloney Detection Kit“ zusammengefasst. „Baloney“ heißt auf deutsch „Quatsch, Unfug“, somit ist ein „Baloney Detection Kit“ auf deutsch ein „Quatschfinder“.
Viele von Sagans Hinweisen sind ohne weiteres auf Diskussionen im spirituellen oder magischen Umfeld anwendbar. Daher hier eine „heidnische“ Variante des Quatschfinders.
Allgemeine Hinweise
- Wo immer es möglich ist, sollten Fakten von einer unabhängigen Quelle bestätigt werden.
- Wenn möglich und angemessen, sollten bei Diskussionen sachkundige Vertreter jedes Standpunkts zu Wort kommen.
- Argumente von „Autoritäten“ sind nicht besser, nur weil sie von einer „Autorität“ kommen. Sowohl in der Wissenschaft als auch im spirituellen Bereich gibt es keine „Autoritäten“, und auch „Autoritäten“ sind nur Menschen und können irren.
- Beschäftige dich mit mehr als einer Hypothese / einem Standpunkt. Nimm nicht einfach die nächstbeste, die dir als erstes einfällt.
- Häng dich nicht emotional zu sehr an eine Theorie / eine Ansicht, nur weil sie von dir stammt.
- Quantifiziere, wo immer es möglich ist.
- Bei Argumentationsketten muß jedes Glied in der Kette einwandfrei sein.
- „Occam’s Rasiermesser“ (erfunden vom mittelalterlichen Philosophen und Dogmatik-Kritiker William of Occam ): Bei zwei Hypothesen, die gleichwertig erscheinen, nimm diejenige, die weniger Grundannahmen voraussetzt.
- Frage immer, ob die Hypothese grundsätzlich falsifizierbar ist. Mit anderen Worten: gibt es einen neutralen Test, der deine Theorie beweisen oder widerlegen kann?
Weit verbreitete Täuschungen und Irrtümer in Sachen Logik und Rhetorik:
- Ad hominem – anstelle der Argumente die argumentierende Person angreifen. (Sehr beliebt bei Leuten, denen die eigenen Argumente ausgehen!)
- Argumentation von einem „Standpunkt der Autorität“ aus. Beliebt in Heidenkreisen ist etwa das Heranziehen von Titeln („ich bin Hohepriester des achtundachtzigsten Grades / Oberdruide / Allherzligode …“) oder der Hinweis auf Initiationen („Ich wurde von Z. B. initiiert“).
- Argumentieren mit nachteiligen Konsequenzen. (Der Versuch, auf Entscheidungsträger Druck auszuüben, indem die Konsequenzen einer ungünstigen Entscheidung in schwärzesten Farben ausgemalt werden. Klassisches Beispiel: „Ohne Atomstrom gehen die Lichter aus.“)
- Ignoranz (Abwesenheit von Evidenz ist keine Evidenz (kein Beweis) für Abwesenheit / Nichtexistenz). (Beispiel: „Es ist bislang nicht gelungen, Telepathie im kontrollierten Experiment eindeutig nachzuweisen. Das beweist, dass es so etwas wie Telepathie nicht gibt.“)
- Das Sich-Berufen auf „höhere Mächte“. (Beispiel: „Das hat mir Merlin persönlich gechannelt, das muss einfach wahr sein. Merlin lügt doch nicht!“ Anderes Beispiel: Christliche Fundamentalisten, die selbst den größten Blödsinn mittels passender Bibelstelle „beweisen“.)
- Suggestivfragen (die Frage so stellen, dass die Antwort bereits in der Fragestellung vorgegeben wird). (Beispiel: „Sie, als rechtschaffender Bürger, sind doch auch dafür, dass die Staatsmacht endlich unser gutes Recht durchsetzt und mit der nötigen Härte gegen diese schwarzmagische Sex-Orgien feiernde Wicca-Sekte vorgeht?“)
- Selektive Wahrnehmung (nur die für den eigenen Standpunkt günstigen Fakten wahrnehmen und die anderen ignorieren). (Beispiel: Jene Geistheiler, die alle Besserungen ihren Fähigkeiten zuschreiben und alle Misserfolge auf die mangelnde Glaubensbereitschaft der Patienten schieben.)
- Statistik mit kleinen Zahlen (Schlussfolgerungen ziehen, obwohl nur ein paar wenige Fälle vorliegen) (Beispiel: „An unserer Schule tragen dieses Jahr drei Schüler umgedrehte Kreuze als Anhänger, ein Jahr zuvor waren es zwei. Eine alarmierende Zunahme von 50 %!“)
- Inkonsistenz (Ist in der Politik sehr beliebt. So wird bei Militärbudgets immer der schlimmste anzunehmende Fall zugrundegelegt, bei Umweltprogrammen dagegen werden extreme Fälle als „nicht bewiesen“ verworfen.)
- Non sequitur – „es folgt nicht daraus“ – damit bricht die Argumentation zusammen.
- Post hoc, ergo propter hoc – „A passierte zeitlich nach B, also wurde B von A verursacht“. – Verwechslung von Wirkung und Ursache. (Beispiel: „Der ultrakonservative und extrem antifeministische Fuldaer Erzbischof Dyba starb überraschend am 23. Juli 2000. Zur Sonnenwende 2000, einen Monat zuvor, hielten feministische Hexen an den Externsteinen ein Ritual gegen frauenfeindliche Kirchenfürsten ab. Also fiel Dyba einem magischen Angriff zum Opfer.“)
- Bedeutungslose und unsinnige Fragestellungen. (Etwa: „Was passiert, wenn eine unendlich große Kraft an einem absolut unbeweglichen Objekt zieht?“ Ausnahme: Absichtlich unbeantwortbare Fragestellungen als Meditationsgrundlage („Koan“). Kommt in Diskussionen aber eher selten vor.)
- „Excluded middle“: Nur die Extremwerte betrachten und mögliche „Mittelwerte“ unterschlagen. Dadurch sieht die Gegenseite oft schlechter aus, als sie wirklich ist. (Beispiel: die Skandalisierung in der politischen Auseinandersetzung – über einen unbedachten „Ausrutscher“ in einer Rede kann ein ansonsten untadeliger Politiker stürzen.)
- Unsinnige Extrapolation. (Beispiel: „Dieser Baum wächst jedes Jahr um 1 m. In tausend Jahren ist er folglich 1000 m hoch“.)
- Verwechslung von Korrelation und Ursache. (Etwa: „Die Geburtenrate bei uns ist seit gut 40 Jahren rückläufig. Im gleichen Zeitraum ging auch der Storchenbestand zurück. Also bringt doch der Klapperstorch die Babys!“)
- Eine Gegenposition karikieren (oder stereotypisieren) um sie leichter angreifen zu können. (Beispiel: „Dass dieser Großinquisitor von Sektenbeauftragter es wagt, uns Demokratiefeindlichkeit vorzuwerfen, ist ganz klar Hexenjagd!“)
- Arbeiten mit Halbwahrheiten. (Beispiel: „Neuheiden sind Antisemiten, da sie das aus dem Judentum hervorgegangene Christentum als fremd ablehnen.“)
- Beschönigende Ausdrücke (etwa „Entsorgungspark“ für Atommülldeponien).
Volkmar Kuhnle, basierend auf Carl Sagan (ergänzt mit einigen Beispielen von Martin Marheinecke).