Der „Kampf der Kulturen“ findet nicht statt
Kulturelle Faktoren verstärken oftmals Konflikte, sind aber zumeist nicht die eigentliche Ursache. Das ist das Fazit einer empirischen Studie der Uni Heidelberg im Auftrag der „Bertelsman Stiftung“: Kulturelle Konflikte treten häufiger auf – der ,Kampf der Kulturen‘ findet trotzdem nicht statt
Einwurf: Ich misstraue der Bertelsmann Stiftung, da sie sich für meinen Geschmack zu oft als wirtschaftsnahe PR-Initiative betätigt, und zwar im Sinne des „Spin-Doctors“. Auch dass sie ihre Zusammenarbeit mit Politikern meines Erachtens allzu oft nach dem „Prinzip der gegenseitigen Instrumentalisierung“ (Böckelmann) gestaltet, gemeinhin auch „eine Hand wäscht die Andere“ oder „Klüngelei“ genannt, trägt dazu bei, dass ich Veröffentlichungen dieser Stiftung eher skeptisch aufnehme.
Auch wenn ich die Ergebnisse der im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung vom Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg durchgeführte Studie für seriös halte, habe deshalb im Hinterkopf, dass so eine Studie wahrscheinlich nicht ohne Hintergedanken in Auftrag gegeben wurde.
Für die Studie wurden alle seit dem Jahre 1945 weltweit registrierten Konflikte und die Bewertung ihrer Ursachen und Intensität durch Konfliktforscher der Universität Heidelberg ausgewertet. Danach gäbe es im Verlauf der letzten Jahre immer mehr kulturelle Konflikte. Seit etwa Mitte der 1980er Jahre gäbe es sogar mehr Kulturkonflikte als nichtkulturelle Konflikte. Wobei mir die Abgrenzung nicht ganz klar ist: auch ein ideologisch begründeter Konflikt ist beispielsweise immer auch ein kultureller Konflikt. Seit dem Ende des „Kalten Krieges“ hätten vor allem religiös thematisierte und historizitäre, also Konflikt- und Herkunftsgeschichte in den Mittelpunkt rückende Konflikte, auf innerstaatlicher Ebene zugenommen, wie in etwa im ehemaligen Jugoslawien, im südlichen Kaukasus oder auf Sri Lanka. Während es immer weniger und weniger intensivere „nichtkulturelle Konflikte“ gäbe (gemeint sind wohl Konflikte aus rein wirtschaftlichen Gründen oder aus Gründen des reinen Machtkalküls), wäre das bei kulturellen Konflikten umgekehrt: Danach würden kulturell bedingte Konflikte besonders gewaltsam und besonders intensiv ausgetragen.
Es hätte sich auch gezeigt, dass kulturelle Konflikte vor allem innerhalb von Staaten auftreten und nur selten zwischen verschiedenen Staaten. So seinen vier von fünf kulturellen Konflikten ausschließlich innerstaatliche Phänomene.
„Für den von vielen prognostizierten `Zusammenprall der Kulturen´ wie der des Westens mit dem Islam finden wir in den Datensätzen der Universität Heidelberg keinen Beleg“, folgert daraus Malte Boecker, Senior Expert der Bertelsmann Stiftung.
Kampf der Kulturen (wikipedia)
Ein zentrales Ergebnis der Analyse ist, dass je kulturell zersplittertete eine Gesellschaften sei, desto wahrscheinlicher wären auch innerstaatliche kulturelle Konflikte, aber auch zwischenstaatliche internationale Auseinandersetzungen.
Der Studie zufolge sind kulturelle Strukturen nicht die alleinige oder wichtigste Ursache solcher Konflikte. Andere Faktoren sind erklärungskräftiger. Insbesondere ein sehr hoher Anteil an männlichen Jugendlichen im Alter von 15 bis 24 Jahren in einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder in einem Land im Vergleich zur Gesamtbevölkerung („Youth Bulge“) mache durchgängig Konflikte wahrscheinlicher. Andere Faktoren seien vor allem das Maß an Unterentwicklung, ein geringes Wirtschaftswachstum, die Menge der zur Verfügung stehenden Agrarfläche oder das Niveau der Demokratisierung in einer Gesellschaft. Eine besonders kritische Konstellation sieht die Studie insbesondere in einem hohen Anteil männlicher Jugendlicher zusammen mit sprachlicher Zersplitterung in einem Land. Sind beide Faktoren besonders hoch ausgeprägt, wären besonders gewaltintensive kulturelle Konflikten wahrscheinlicher.
„Kulturelle Faktoren und Strukturen müssen in Konflikten sehr ernst genommen werden, weil sie instrumentalisiert werden und den Konfliktverlauf deutlich beeinflussen können“, kommentiert Malte Boecker von der Bertelsmann Stiftung.
Nicht bestätigen konnte die Studie dagegen die Annahme, dass der Grad der religiösen Zersplitterung und der Anzahl von Konflikten zusammenhingen. Die besonders fragmentierten wie auch die religiös sehr homogenen Gesellschaften hätten sich als relativ konfliktarm erwiesen.
Obwohl kulturelle Konflikte deutlich zugenommen hätten, kommen die Autoren der Studie trotzdem nicht zu einer pessimistischen Prognose.
„Gemessen an der Zahl der potenziellen Konfliktlinien kann die Anzahl der tatsächlichen gewaltsamen Konflikte insgesamt als verschwindend gering bezeichnet werden“ äußert sich Prof. Aurel Croissant von der Universität Heidelberg zu den Befunden der Studie. Außerdem sei aus dem Vergleich unterschiedlicher Gesellschaften kein Automatismus zwischen kultureller Fragmentierung, Konflikten und Gewalt erkennbar:
„Keine einzige vorstellbare kulturelle Zusammensetzung einer Gesellschaft muss zwangsläufig zum Konflikt oder gar zur Gewalt führen. Kulturelle Prägung mag Schicksal sein, kulturelle Konflikte sind es nicht.“
Ich denke, damit hat Prof. Crossant recht.