Biikebrennen in Nordfriesland
An den Stränden Nordfrieslands findet am 21. Februar, einen Monat vor der Tag- und Nachtgleiche, das Biikebrennen statt.
Es gibt viele Volksbräuche, von denen behauptet wird, sie gingen bis auf „heidnische Zeiten“ zurück. Ob das wirklich stimmt, ist in vielen Fällen fraglich. Zu viele „uralte Bräuche“ lassen sich nämlich nur bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen, sind also mutmaßlich neu geschaffen. Bei älteren Bräuchen lasst sich beim beim besten Willen nicht mehr sagen, was denn christlich, was nicht-christliches Brauchtum, und was wiederum davon, wenn überhaupt, vorchristlich ist. Die ältere Volkskunde neigte in Deutschland bekanntlich dazu, alles, was irgendwie altüberliefert war, für „germanisch“ zu halten – obwohl zwischen „den heidnischen Germanen“ und „den Deutschen“ Jahrhunderte lagen. Daher ist eine gewisse Skepsis angebracht, wenn ein Volksbrauch „germanisch“ (regional gern auch „keltisch“, eher selten genommen: „slawisch“) sein soll.
Es gibt auch das andere Extrem, und dieses Extrem sind (meist kirchliche oder kirchennahe) Experten und „Experten“, die bestreiten, dass unter den Karnevals- bzw. Faschings- bzw. Fastnachts-Bräuchen auch solche sind, die überhaupt nichts mit dem Beginn der vorösterlichen Fastenzeit zu tun haben, sondern jahreszeitliches Brauchtum, vulgo „Winteraustreiben“ genannt, sind. Fällt gar das Wort „heidnisch“, greifen sie innerlich zum Weihwasserspritzer. Nun ist Karneval / Fastnacht tatsächlich eine Melange, aus der sich beim bestem Willen die einzelnen Bestandteile nicht mehr ausfiltern lassen.
Beim friesischen Biikebrennen ist es hingegen weitgehend unstrittig, dass es zumindest teilweise heidnischen Ursprungs ist.
Foto: © Hans Peter Dehn / pixelio.de
Das friesische Wort „Biike“ bedeutet im allgemeine („See-)Zeichen“ (plattdeutsch „Bake“ oder „Beeke“), hier in der besonderen Bedeutung „Feuerzeichen“.
Die Feuer gelten als Opferfeuer zum Abschluss der Winterfeste. Ackerbau und Seefahrt ruhten im Winter notgedrungen, es gab also mehr „freie Zeit“, als den Bauern, Schippern und Fischern lieb gewesen sein dürfte. In den Hansestädten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit ruhte die Schifffahrt zwischen Martini (11. November) und Petri Stuhlfeier („Peterstag“) (22. Februar). Die vielen Friesen, die auf hansischen Schiffen fuhren, waren also in dieser Zeit „saisonal arbeitslos“.
Die Winterfeste (in etwa ein „bäuerliches Friesen-Fasching“) darf man sich nicht zu idyllisch vorstellen, sondern eher gemäß dem Prinzip „saure Zeiten, frohe Feste“. Es wird ziemlich deftig und alkoholseelig abgegangen sein, und die Menschen werden froh gewesen sein, wenn sie genug zum Essen hatten.
Bis im Jahr 1867 (!) die preußische Gerichtsbarkeit das Laiengericht der Ratsmänner aufhob, war der 21. Februar in Nordfriesland Thingtag (Gerichtstag).
Das Biikefest wurde dennoch örtlich an verschiedenen Tagen gefeiert, jedoch stets vor Beginn der Fastenzeit, weshalb es auch als Fastnachtsbrauch gilt. Erst seit Ende des 19. Jahrhunderts findet es überall in Nordfriesland einheitlich am 21. Februar statt.
Ob tatsächlich, wie die ältere Volkskunde behauptet, Wodan, als Herrscher über Krieg und Sturm, durch die Opferfeuer milde gestimmt werden sollte, ist nicht gesichert.
Immerhin plausibel ist ein Opfer zum Schutz der jungen Saat.
Dass das Biikebrennens in historischer Zeit ein Abschiedsfest für die Männer war, die als Walfänger zur See fuhren, ist zwar nicht falsch, aber die romantische Vorstellung von am Strand um die Biike versammelten Frauen, die den abfahrenden Schiffe nachwunken, ist eine Legende des 19. Jahrhunderts. Der Keitumer Chronist Henning Rinken berichtete, das vor 1760 sich alljährlich am 22. Februar in Keitum auf Sylt die Seeleute versammelten, um ihre Abfahrt zu den Walfanghäfen zu besprechen, und Heuerverträge für die kommende Fangsaison abzuschließen. Sie werden sicherlich auch Abschied gefeiert haben – schließlich waren sie oft monatelang fort. Aber die ziemlich großen Walfangschiffe hätten schwerlich direkt von den Inseln und kleinen Küstenorten aus in See gehen können, und mieden wegen ihres Tiefgangs auch die friesischen Inseln mit ihren tückischen Sandbänken und erst recht die Wattensee, weshalb die Männer auf den ausfahrenden Schiffen die brennenden Biiken am heimatlichen Strand gar nicht hätten sehen können.
Die Männer fuhren auf kleinen Küstenseglern oder über Land erst zu den großen Hafenstädten Norddeutschlands und der Niederlande, und zwar sicher nicht alle auf einmal. Außerdem waren Ende Februar oft noch die Häfen zugefroren.
Gartenzäune und -Tore aus Walknochen künden übrigens noch heute auf den friesischen Inseln davon, wie wichtig der Walfang war.
Biiken hatten aber auch einen praktischen Zweck, denn die Feuer dienten den Küstenschiffern und Fischern als Orientierungspunkte. Das hat aber mit dem besonderen Brauch des Biikebrennens nicht viel zu tun.
Das Feuer brannte, wie aus dem 18. Jahrhundert überliefert ist, früher an bakenähnlichen Stangen. Noch im 19. Jahrhundert wird die Biike als brennende, mit Teer und Stroh gefüllte Tonne auf einer Stange beschrieben. Die heute üblichen großen Feuerstöße sind wahrscheinlich erst nach der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden. Erst seit dieser Zeit sind auch Weihnachtsbäume üblich, die heute einen wesentlichen Anteil des Biikematerials bilden.
In einige Dörfern wird im Biike-Feuer eine Strohpuppe verbrannt, die „Petermännchen“ genannt wird und vielleicht den Winter symbolisiert. Fälschlich wird der Peterstag (nordfriesisch „piddersdai“) mit Petrus – immerhin Schutzpatron der Fischer – in Verbindung gebracht. Tatsächlich feiert die katholische Kirche das Fest „Kathedra Petri“, also den Stuhl des Papstes, bzw. die Vorrangstellung des Petrus-Amtes, was das Lehramt betrifft. Dass dieser Feiertag in Norddeutschland recht wichtig wurde, und es auch über die Reformation hinaus blieb, dürfte rein kalendarische Gründe haben – es gibt ja auch keinen inhaltlichen Zusammenhang zwischen Martinstag und dem Ende der Seefahrtssaison. Die in der Wikipedia genannte Ansicht, das Petermännchen hätte nichts mit dem Heiligen Petrus, sondern mit dem Papst (also dem Petrus-Amt) und dem damit verbundenen christlichen Glauben zu tun, der abgelehnt wurde, ist aber meines Wissens ungesichtert.
Es stimmt, dass die christliche Missionare es bei den Friesen nicht leicht hatten – etliche Missionare, allen voran Bonifatius, verdanken ihren Märtyrer-Status friesischen Streitäxten – und es stimmt auch, dass sich manches eindeutig heidnische Brauchtum dort bis in die Gegenwart gehalten hat. Nach Nordfriesland gelangte das Christentum ziemlich spät. Erst um 1100 wurden hier die ersten Kirchen gebaut – gut 300 Jahre nach der Christianisierung Sachsens („Altsachsens“, also heutiges Niedersachsen und Westfalen nebst dem Westen Holsteins) und gut 100 Jahre nach der offiziellen Christianisierung Islands. Noch in einem Papst-Brief von 1198 werden die nordfriesischen Utlande als „neue Pflanzstätte des Glaubens“ bezeichnet.
Umso schneller lösten sich die Nordfriesen von „Rom“: Die Reformation wurde in Nordfriesland schon bald nach Luthers Auftreten in Wittenberg übernommen. Schon von 1525 an verkündeten Dietrich Becker und Hermann Tast in Husum das neue Gedankengut: Nordfriesland wurde evangelisch-lutherisch.
Da man in den norddeutschen Küstenlandstrichen traditionell zur Rebellion gegen unerwünschte Obrigkeiten neigte, und da sie eine frühe Hochburg der Reformation waren, braucht eine symbolische Papstverbrennung, wenn es denn eine ist, nicht zwangsläufig heidnisch zu sein. Da die katholische Kirche am 22. Februar die Vorrangstellung des Papstes feiert, könnte der Brauch, das Petermännchen im Biikefeuer zu verbrennen, auch auf die Reformationszeit zurückgehen.
Auf den dänischen Wattenmeerinseln und in Jütland ist das Biikebrennen als Pers Awten (jütisch für Peters Abend) bekannt.
Einer Sylter Legende nach (die allerdings auch vermutlich erst im 19. Jahrhundert aufkam) diente das Biikebrennen auch als Zeichen für die Männer auf dem Festland, dass die Frauen nun wieder allein waren und Hilfe bei der Arbeit auf den Höfen und „anderen Dingen“ benötigten. Historisch ist das äußerst unwahrscheinlich, denn es fuhr selbst in den Hochzeiten des Walfanges und der Segelschifffahrt nicht der Großteil der männlichen Bevölkerung zur See.
Bis auf Offiziere, Unteroffiziere und Handwerker (z. B. Schiffszimmermann, Schmied, Segelmacher, Koch, aber auch Wundarzt), die auch älter sein konnten, fuhren auf Segelschiffen fast nur junge Männer zwischen 16 und höchstens Anfang 30. Die Arbeit in der Takelage eines Großseglers ist gefährlich, langsame Reflexe oder steife Gelenke können tödlich sein. Um die 30 wurde ein normaler Seemann an Land sesshaft oder wechselte zumindest in die küstennahe Kleinschifffahrt. Meistens heirateten die ehemaligen Seeleute auch erst in diesem Alter.
Auf Sylt hält heute vor dem Entzünden der Biike der Pastor oder der Bürgermeister eine Ansprache auf Sylter Friesisch. Sie endet traditionell mit den Worten „maaki di biiki ön!“ („Macht die Biike an!“).
Heute ist Biikebrennen auch, aber zum Glück nicht nur, eine Touristenattraktion. Das Biikebrennen ist in Nordfriesland ein Volksfest, das von den Einwohner der Gemeinde gemeinsam organisiert und von der örtlichen freiwilligen Feuerwehr betreut wird, wie andernorts das Osterfeuer.
Zum Biikebrennen wird traditionell Grünkohl mit Kasseler und Schweinebacke gegessen, auch die örtliche Gastronomie bietet dieses deftige Gericht an. Das typische Getränk am Biikefeuer ist in den meisten Orten Teepunsch.
Aus dem Erlös des Getränkeverkaufs werden in manchen Orten notwendige öffentliche Maßnahmen finanziert.
Es werden dieses Jahr wieder rund 80 Feuer zwischen Sylt und St. Peter Ording entzündet werden.
Biiekebrennen 2011 – Übersicht über Veranstaltungen (pdf) (von Nordseetourismus.de)
Sowas feiern die Allgäuer auch! Sogar zur selben Zeit! Siehe Funkenfeuer
http://de.wikipedia.org/wiki/Funkenfeuer
Die Liste der Tourismusinformation listet wahrscheinlich nur die touristisch vermarkteten Biiken auf.
In Risum-Lindholm veranstaltet beispielsweise die Friisk Foriining jedes Jahr zusammen mit anderen nordfriesischen Vereinen ebenfalls ein Biike-Brennen, dass in der Liste aber nicht mit aufgeführt wurde. Einen Tag vorher gabs dieses Jahr dort übrings noch eine Bjarnebiike (Kinder-Biike) mit Kindern der dänischen Schule aus Bredstedt.
viele Grüße, Janne
Danke für die Information, Janne!
Es stimmt, in den der Tourismusinformation sind leider nur Feiern aufgeführt, die entweder von den Gemeinden selbst oder in Abstimmung mit den Fremdenverkehrsämtern / Tourismusbüros / Kurverwaltungen veranstaltet werden. Die Biike-Brennen der Vereine gelten, wie ich inzwischen herausbekommen habe, aus Sicht der Tourismusinformation oft als „Privatveranstaltungen“.
Die Biike ist jedes Jahr eines der großen Ereignisse – nicht nur auf Sylt.
Pingback: Das Biikebrennen – uralter Brauch oder Wunschheidentum? | Heidentheater, das Wikinger-Puppentheater