Ásatrú und Naturalismus gehen zusammen – „Aufgeklärtes Heidentum“ von Andreas Mang
Andreas Mang:
Aufgeklärtes Heidentum
Philosophie, Konzepte, Vorstellungen
Eigenverlag von Andreas Mang, 2012, ISBN 978-1479279944
Andreas Mang ist Naturalist, geht also davon aus, dass alles in der natürlichen Welt den Naturgesetzen unterliegt. Das ist, vorsichtig gesagt, keine unter Heiden besonders übliche Weltsicht. Anderseits „funktionieren” Ásatrú und ähnliche polytheistische Weltauffassungen, anders als die meisten Religionen, auch unter der Annahme, dass es keine „transzendente Wirklichkeit”, kein „Jenseits” und nichts „Übernatürliches” gäbe.
Mang ist der Ansicht, dass das Heidentum missverstanden und falsch beurteilt wird. Der Hauptgrund für diese fehlerhafte Wahrnehmung sei mangelndes Wissen über die Grundkonzeption des alten wie des neuen Heidentums, welche sich deutlich von der bekannterer Religionen unterscheidet.
Er vermutet, dass diese Unterschiede in der Regel von hiesigen Monotheisten und Atheisten übersehen werden. Insbesondere Anhänger des modernen nordisch-germanischen Heidentums leideten unter dem Vorurteil des angeblich inhärenten Rechtsextremismus, das auf einer nachvollziehbaren aber deutlich verzerrten historischen Sicht beruhen würde.
Daher besteht ein großer Teil seines Buches aus Definitionen und Erklärung, was eigentlich Begriffe wie „Religion”, „Glaube”, „Mythos”, „Gott” oder auch „Magie” aus seiner, heidnisch-naturalistischen, Sicht heraus bedeuten – im Gegensatz zur landläufigen christlichen Sichtweise.
Ein Beispiel: Mang zufolge trifft die übliche Definition von „Religion” als „Glaube an eine oder mehrere überirdische Mächte sowie deren Kult” auf „heidnische Religionen” ebenso wenig zu, wie die übliche, auf Lactantius zurückgehende Herleitung von religio aus religare „Zurückbinden”, also Religion als „Band der Frömmigkeit” zwischen Mensch und Gott.
Statt dessen hält er Ciceros Herleitung des Begriffs religio von relegere „aufsammeln” oder „wieder auflesen” im Sinne von „achtgeben” für zutreffend. Diese Begriffsbedeutung von „Religion” umgehe die Nachteile der heute üblichen. „So zählt hier auch der Buddhismus ohne jede Schwierigkeit oder zusätzliche Annahme als Religion.” (Der Buddhismus ist, da er grundsätzlich auch ohne Gott, Götter oder „höhere Mächte” auskommt, der klassische „Problemfall” für die vom Christentum ausgehende Religionsdefinition.)
In seinem Kapitel über „Atheismus” geht Mang dabei über das unter nachdenklicheren Heiden vermutlich weitgehend Konsensfähige hinaus. Weniger darin, dass der Atheismus in seiner heutigen Form eine Reaktion auf die christliche Kirche ist, sondern darin, dass Mang, als Naturalist, dem Atheismus gegenüber grundsätzlich eher wohlwollend eingestellt ist.
Auch seine Einschätzung, dass man sowohl atheistische wie agnostische Positionen nur in Bezug auf bestimmte und definierte Gottesvorstellungen einnehmen könne, ist nach meiner Einschätzung in „Heidenkreisen” eher eine Minderheitenposition.
Wirklich kontrovers dürften seine Darlegungen zur „Magie” sein. Anders als viele Naturalisten hält Mang magische Rituale für in Einzelfällen wirksam, wobei er auf den Placeboeffekt und das Unterbewusstsein verweist. (Es gibt nicht wenige radikale Naturalisten, die das „Unterbewusstsein” als ein metaphysisches Konstrukt ablehnen.) Mit dieser Ansicht steht er im Gegensatz zu vielen „praktizierenden Magier und Hexen”, für die Magie zwar etwas durchaus „natürliches” ist, aber eben mehr als „nur” ein psychologischer Effekt. Dem Schamanismus gegenüber zeigt er sich skeptisch, vor allem hinsichtlich der historischen Quellenlage, aber:
Solange man sich bewußt ist, einen Neoschamanismus zu verfolgen, und darüber hinaus auch niemandem vormacht, in einer historisch gesicherten und überlieferten Tradition zu stehen, spricht nichts dagegen, einen solchen Weg zu folgen.
(S. 94)
Aufschlussreich ist das Kapitel „Warum ich ein Heide bin”. Es waren Behauptungen bzw. Legenden zur christlichen Mission und über die christliche Moral, sowie christliche Dogmen, die Mang, der in einer evangelischen Familie aufwuchs, zweifeln ließen. Als naturwissenschaftlich interessierter junger Mensch näherte er sich dem Naturalismus an und trat schließlich aus der Kirche aus. Eine Weile war er „durch und durch” atheistisch. Wie ihm das nordische Heidentum, das ihn schon früh faszinierte, sozusagen zustieß, beschreibt er ausführlich und anschaulich.
Wichtig ist auch sein „Nachtrag” zum ledigen Thema „Rechtsextremismus und 3. Reich”. Auch er wurde mit dem Vorwurf konfrontiert, als „germanischer Heide” sei man automatisch rechtsextrem.
Er zeigt, dass die angebliche Verbindung von Heidentum und 3. Reich weit mehr ein historischer Zufall wäre, als das sie auf historischen und philosophischen Gemeinsamkeiten aufbauen würde. Außerdem legt er dar, dass der nazideutsche Staat weit weniger heidnisch war, als oftmals angenommen würde.
Inhaltlich sagt er einem politisch engagierten „antifaschistischen” Heiden wenig Neues, aber er stellte es präzise, kompakt, gut verständlich dar, und recherchierte gut und gründlich.
Ich kann dieses Buch nur empfehlen, und zwar auch jenen, die, anders als ich, Mangs naturalistische Grundeinstellung nicht teilen. Dass einige seine Kapitel kontrovers sind (und auch ich nicht immer mit dem einverstanden bin, was Mang schreibt), macht „Aufgeklärtes Heidentum” eher noch interessanter. Seinen „Nachtrag” zum Rechtsextremismus würde ich am liebsten für unser Nornirs Ætt-Projekt „Odins Auge” übernehmen.
Martin Marheinecke