Die Nornirs Ætt – wie es begann
Es war das Wochenende zum 1. Mai 1995, als der ein halbes Jahr zuvor begründete Rabenclan sowohl seine bereits vorhandenen Mitglieder als auch Beitrittswillige und grundsätzlich Interessierte zu (s)einer ersten, offiziellen Mitgliederversammlung nach Freienfels eingeladen hatte.
Ort des Treffens war ein kleines Wäldchen mit recht offenem Baumbestand – man könnte es einen Hain nennen – auf einer Hügelkuppe oberhalb des Platzes, auf der alljährlich zu diesem Zeitpunkt der erste Mittelaltermarkt der Saison stattfand. Der Platz war nur über einen von Osten kommenden, von der Zufahrtsstraße abzweigenden Feldweg zu erreichen, der am südwestlichen Eck dieses Hains abknickte und dann nördlich und talwärts durch den Wald direkt zur Marktwiese führte. Nach Osten und Westen schloss sich auf leicht abfallendem Gelände mehr oder minder Wald an – und ebenfalls weiter westlich – wenn auch der direkten Draufsicht entzogen – befand sich auf einer benachbarten Hügelkuppe die Burgruine zu Freienfels, der man bei Bedarf einen Besuch abstatten konnte.
Nach Süden zu gab es, direkt auf der anderen Seite des Feldweges eine flach abfallende Wiese, die zu dieser Zeit zumindest landwirtschaftlich nicht genutzt wurde – und sich also als Tummelplatz eignete … nur zum Zelten war sie glaube ich nicht freigegeben.
Es gab im südwestlichen Zipfel des Hains auch eine kleine Blockhütte neben der eine Jurte aufgebaut wurde, um möglichst vielen einen Schlafplatz im Trockenen zu ermöglichen. Es hatte wohl die Tage vorher reichlich geregnet – und die Mittelaltermarktswiese drohte teils im Schlamm abzusaufen. Dahingegen hatten wir es an sich recht trocken – zumal das Wetter an diesem Wochenende durchwachsen bis gut war. Manche schliefen auch in ihren Autos – andere wohl einfach da, wo sie jeweils umfielen. Ich entsinne mich auch noch einer Feuerstelle … es kann aber sein, dass die erst in den darauffolgenden Jahren angelegt wurde. Die allgemeine Stimmung schien mir jedenfalls gut bis enthusiastisch zu sein.
Dort trafen sich also allerlei Menschen verschiedenster Herkunft, die sich selbst im weitesten Sinne als heidnisch empfanden und/oder bezeichneten. Zahlenmäßig tue ich mich etwas schwer sie zu benennen – ich würde sie mal mit etwa 40-50 veranschlagen.
Da gab es dann also Initiierte und Nichtinitiierte, Hexen, Magier, Priester en masse, Schamanen, Wicca und Freifliegende, Keltoi und wie sie alle hießen. Und nicht wenige, die dem Germanischen zugetan waren, waren eben auch gekommen.
Zu dieser Zeit wurde auch an „Pomp and Circumstances“ noch nicht gespart; soll heißen, es wurde dem eigenen Selbstverständnis auch nach außen hin überreichlich Rechnung getragen, was etwaige Ritualkleidung, Schmuck, Rangabzeichen, sonstige Gerätschaften und auch Waffen betraf. Alles in allem also ein mehr als bunter Haufen, der sich da zusammen gefunden hatte mit der Zielsetzung, einer großen, „überkonfessionellen“, heidnischen Vereinigung Leben einzuhauchen. Rückblickend hatte es für mich auch etwas von einem Startschuss zu einem großangelegten Feldversuch der Identitätsfindung. Alles war neu – oder doch zumindest ungewohnt – und irgendwie auch ganz schön aufregend … in mehrfacher, guter wie auch schlechter Hinsicht …
Die etwaigen, an diesem Wochenende anfallenden Versammlungen fanden – sofern nicht zeitgleich stattfindend – in und um eine kleine, kegelförmige Senke innerhalb dieses Wäldchens statt, die wahlweise an einen Bombenkrater oder, mit der Menge an Menschen besetzt, auch an ein Miniatur Amphitheater erinnern konnte.
Nachdem also bereits viel Formales und Organisatorisches den Rabenclan betreffend bekakelt worden war – wurde daran gegangen, die verschiedenen „Traditionen“ (so die Wortwahl damals) innerhalb des Rabenclan zu gruppieren. Unter anderem versammelten sich dann also diejenigen, die sich als Ásatrú verstanden.
Bei unserer Gründung nannten wir uns „Hrafnsgaldr Fylki”, wie heute noch unser ältestes Fylki heißt. Weil das aber kaum jemand aussprechen konnte oder wollte („Hrafn-wie?-Dingsda”), wurden wir anfangs meist nur die „Ásatrú im Rabenclan” genannt. Den Namen Nornirs Ætt gaben wir uns erst zwei Jahre später.
(Foto: Sven Scholz)
Von denen, die sich damals versammelten, um eine Gemeinschaft namens Hrafnsgaldr-Fylki zu gründen, sind nur noch wenige heute noch bei der Ætt dabei. Bei ihren heutigen „spirituellen Namen” genannt: AsaÞor Oðinnson, Trufinn und Väinäsisu. Fjölnir Eibensang wurde an jenem Tag Vitki beim Goden AsaÞhor Oðinnson, aber dem Gründungsthing des Hrafngaldr Fylki wohnte er nicht bei und stieß erst später hinzu. (Dass hier ihre spirtuellen statt der bürgerlichen Namen stehen, hat damit zu tun, dass es nach wie vor in bestimmten Berufen und bei bestimmten Arbeitgebern problematisch sein kann, sich zum „germanischen Heidentum” zu bekennen. Nur so am Rande.)
Es waren viele dabei, bei denen es wirklich schade ist, dass sie heute nicht mehr dabei sind, und einige , die heute nicht mehr wirklich zur Nornirs Ætt, wie sie sich in 20 langen Jahren entwickelt hat, passen würden.
Einer von denen, die nicht mehr dabei sind, formulierte den genialen und wahren Satz:
„Ásatrú wird man nicht – das stößt einem zu“.
Auf dieser ersten Versammlung jedenfalls wurden schlussendlich das Hrafnsgaldr-Fylki begründet und auch kundgetan, dass ein „Kodex“ kurz vor der Vollendung stehe; ein erster Entwurf, wie eine moderne, germanische Gemeinschaft auf historischer Basis funktionieren könnte. (Heute heißt der ehemalige „Kodex” „Log”, wie „Logbuch”, und dient mehr als Gedächtnisstütze, denn als „Gesetzbuch” – das mündliche Wort gilt!)
Die „Veröffentlichung“ wurde für ein geplantes Julfest 1995 angekündigt, wenn ich mich da recht erinnere. Woraus sich schließen lässt, dass wir uns von Anfang an nicht ausschließlich über den Rabenclan definieren wollten. Und es wurden drei Goden als solche in „Amt und Würden“ eingesetzt. Was aber in keinem Vergleich zu unserer heutigen Verfahrensweise stand. Auch wenn ich es im Detail nicht mehr weiß: es dürfte am ehesten was von abnicken gehabt haben …
Das erste Regelwerk des „Hrafnsgaldr-Fylki” war natürlich noch lange nicht so rund war wie unser heutiges Log, aber es war ein Anfang. Es gab zum Beispiel noch keine Probejahr-Modi (die entstanden durch diverse Erfahrungen späterer Jahre) – dafür noch einige Skurrilitäten wie etwa den „Holmgang” – die beinah originelle (aber nie zur Ausführung gekommene) Idee, Streitfälle per „rituellem Zweikampf” zu schlichten … Derlei kleingrober Unfug ging jedoch unter im Gesamtwerk, das überzeugte: Denn die Struktur war angelegt. Was damals wohl kaum jemand ahnte, ja nicht einmal ernsthaft erwartete: dass sie funktionieren würde!
Und während so manch anderer „Rabe“ im weiteren Verlauf dieses doch recht ereignisgeladenen Wochenendes vollauf damit beschäftigt waren, sich selbst und andere von ihrer Wichtigkeit, spiritueller wie ritueller Wirkmächtigkeit zu überzeugen oder gar eifrig Wolkenschlösser zu schmieden (wobei aber erwähnt sein soll, dass auch bei uns damals reichlich Nägel mit Köpfen gemacht werden würden – nur im Eifer des Gefechts eben der Kopf so manchen Nagels zu klein für den jeweiligen Hammer war, wie Skuld uns noch zeigen sollte) – begründeten die Ásatrú bei dieser Gelegenheit jedenfalls auch gleich eine erste Sitte: Die der Festivitäten und des persönlichen Austauschs – dem Schließen von Bekanntschaften, Begründen von Freundschaften … und vielleicht auch der einen oder anderen Feindschaft. 😉
Väinäsisu, redaktionell bearbeitet von MartinM
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