Christen durch laut denkenden Politiker diskriminiert?
Deutsche Politiker treten nur selten für eine konsequente Trennung von Staat und Kirche ein. (Österreichische sogar noch seltener.)
Daher ist es schon bemerkenswert, dass Martin Schulz (SPD), EU-Parlamentspräsident und Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten, Kreuze und andere religiöse Symbole aus dem öffentlichen Raum verbannen will. Jeder solle persönlich seinen Glauben zeigen können, der öffentliche Ort jedoch müsse neutral sein, da dort jeder ein Recht habe zu sein.
Eigentlich ist diese Neutralität eine Selbstverständlichkeit. Jedenfalls in Staaten wie Frankreich, Schweden oder sogar den gewiss nicht „atheistischen“ USA.
Leider bestätigt sich eine weitere Befürchtung Schulz‘, die er in der selben Diskussionsveranstaltung äußerte: Es gebe in Europa „das Risiko einer sehr konservativen Bewegung zurück“ und dies müsse im Sinne der Anti-Diskriminierung bekämpft werden. Kaum hat es ein europäischer Spitzenpolitiker gewagt, sich für eine deutlichere Trennung von Staat und Kirche auszusprechen, fühlt sich die römisch-katholische Kirche angegriffen. Dass es die katholische Kirche ist, ist kein Zufall, denn in den protestantischen Kirchen spielt die Bildsymbolik keine große Rolle. In den reformierten Konfessionen (Calvinisten, Zwinglianer usw.) gibt es noch nicht einmal in den Kirchen Kruzifixe. Folglich findet man christliche Symbole im öffentlichen Raum (Schulen, Behörden, Gerichte usw.) fast nur in katholisch geprägten Gegenden. (Dass die „protestantische Nüchternheit“ auch ihre hoch problematische Seiten hat, sei nur am Rande erwähnt.)
Kurienerzbischof Georg Gänswein mahnt sogar: „Politiker tun zu wenig gegen Diskriminierung von Christen“ (Radio Vatikan). Der christliche Hohepriester nennt zwar keine Namen, aber dass auch und vor allem Martin Schulz gemeint sein dürfte, ist unverkennbar.
Gänswein betont, dass antisemitische und islamophobe Handlungen und Aussagen zu Recht von den Medien und politisch Verantwortlichen verurteilt würde – und beklagt gleichzeitig einen „militanten Säkularismus“. Es gab und gibt Brandanschläge auf Synagogen und Moscheen, „Bürgerinitiativen“ gegen den Bau von Moscheen, Politiker, die mit antisemitischen Parolen im Wahlkampf auftrumpfen. Die Formulierung „militanter Säkularismus“ legt eigentlich nahe, dass Christen unter ähnlichen Bedrohungen zu leiden hätten. Was bekanntlich nicht der Fall ist.
Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück, meint sogar, dass Schulzes Meinungsäußerung gegen „die Rechtsordnung verstoßen“ würde. Er bezeichnete das „als gravierenden Angriff auf die Tradition und Rechtsordnung in Deutschland.“
Damit mag er sogar Recht haben, den traditionell genießen die großen christlichen Kirchen beachtliche Privilegien. „Die Forderung missachte das in Deutschland gewachsene Verhältnis von Religion und Staat.“ Stimmt auffällig! Allerdings kollidiert dieses traditionelle Verhältnis von (privilegierten) Religionsgemeinschaften und Staat deutlich mit rechtsstaatlichen Prinzipien. Zum Beispiel gibt es im Arbeitsrecht immer noch Sonderrechte für kirchliche Einrichtungen – zu Lasten der Beschäftigten.
Ich sehe in den empörten Reaktionen auf die Meinungsäußerungen eines wahlkämpfenden Politikers nichts weiter als ein typisches Beispiel für die wehleidige und sich selbst zum Opfer stilisierende Haltung von Privilegierten.
Martin Marheinecke
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