Feindbildkonstruktion und Heidentum
Neulich schrieb ich:
Sehr wichtig ist die Beobachtung, dass sie immer auch einen Feind brauchen. Ohne Feindbilder und Schuldzuweisungen funktioniert ihr Weltbild nicht!
Mit „sie“ sind „völkische Rassisten“ gemeint.
Dass diese Feindbildkonstruktion für „Völkische“, Nazis und „Neue Rechte“ so elementar wichtig ist, weiß ich unter anderem von Miro Jennerjahn, Politologe, „Grüner“ Landtagsabgeordneter in Sachsen und ein anerkannter Fachmann für Rechtsextremismus. Miro Jennerjahn ist ein profilierter Kritiker der „Extremismustheorie“, also der Doktrin von den „bösen Rändern und der guten Mitte“ bzw. der Gleichsetzung von „Extremismus von links und rechts“. (Sehr lesenswert: Sind wir alle Extremisten? Der Extremismusvorwurf als politischer Generalverdacht. (pdf)) – Auf die Verbindung zwischen der völkischen Feindbildkonstruktion und der „Extremismustheorie“ geht Jennerjahn auch in “Extremismus”: Autoritär-obrigkeitsstaatlich aufgeladen ein.
Jennerhahn hielt auch diese geniale Rede zum Antrag der NPD „Deutsch statt ‚Denglisch‘ – Anglizismen im Verantwortungsbereich der Staatsregierung vermeiden.“
(Auch hier nachzulesen.)
Das erwähne ich auch, damit bei heidnischen Lesern dieser Zeilen nicht automatisch ein heidnischer Feindbildungsreflex einsetzt, denn Jennerjahns überzeugende Analysen zu rechtsextremen Feindbildern fand ich in seinem Buch:
„Neue Rechte und „Heidentum“. Zur Funktionalität eines ideologischen Konstrukts“ (Frankfurt am Main, Verlag Peter Lang, 2006)
Jennerjahn macht darin u. A. deutlich, wie das „Heidentum“ als identitätsstiftendes Band und als theoretisches Fundament antidemokratischenr Gedankengutes in der Ideologie der „Neuen Rechten“ dient. (Ich bin mit ihm übrigens hinsichtlich Neurechter Neuheiden völlig einer Meinung!)
Trotzdem ist das natürlich aus der Sicht eines demokratischen und menschenrechtsorientierten (Neu-)Heiden harter Tobak:
Bevor es gleich richtig losgeht, möchte ich meine Grundannahmen zum Thema voran stellen:
1. Die Konstruktion des Heidentums ist untrennbar verbunden mit rechtsextremer Gesellschaftsdeutung.
2. Es entsteht in Abgrenzung bzw. vollständiger Negation der bestehenden Gesellschaft wie sie von der extremen Rechten wahrgenommen wird.
3. Ohne die Existenz eines solchen Feindbildes, auf das alle Übel projiziert werden, existiert auch kein Heidentum. Es ist auf die permanente Konstruktion eines Feindes angewiesen.
4. Das Heidentum im Rechtsextremismus ist nicht in erster Linie religiös zu deuten, sondern als politische Ideologie.
Quelle:
Europäisches Neuheidentum gegen jüdisch-christliche Fremdherrschaft?
Vortrag von Miro Jennerjahn. Gehalten am 21. April 2007 in Weißenfels im Rahmen des Seminars der Friedrich-Ebert-Stiftung: “ Runen, Ragnarök, Rassismus – nordische Götter und germanische Mythen im Rechtsextremismus“
Nun ist es zum Glück nicht so, dass unvollständige Grundannahmen automatisch zu falschen Schlüssen führen. Unvollständig sind Jennerjahns Grundannahmen (und die daran anschließenden Analysen) insofern, da „nichtrechte“ oder gar bewusst demokratische Heiden darin nicht vorkommen. Ersetze ich „Heidentum“ durch „völkische“ bzw. „neurechte Heidentumsideologie“, treffen die Grundannahmen meines Erachtens zu.
Für Jennerjahns Wortwahl kann es mehrere Gründe geben, es könnte, z. B. Unkenntnis sein oder, wenn er uns pro-demokratische Heiden kennt, die Ansicht, dass wir es vielleicht gut meinen würden, aber auf dem Holzweg seien. Oder – die meiner Ansicht nach naheliegendste Möglichkeit – wir sind einfach irrelevant, weil wir wenige sind und außerdem keiner gefährlichen Ideologie anhängen. Ein paar harmlose „Spinner“, um die man sich politisch nicht kümmern braucht.
Im Zusammenhang mit Jennerjahns dritten Grundannahme „3. Ohne die Existenz eines solchen Feindbildes, auf das alle Übel projiziert werden, existiert auch kein Heidentum. Es ist auf die permanente Konstruktion eines Feindes angewiesen“ sehe ich den ironischen Kommentar „Nur gut, daß Ihr keine Feindbilder habt. :-)“ – unabhängig davon, ob „Marcus“ Jennerjahns Aussagen kennt oder nicht, denn dass Ideologen Feindbilder „brauchen“, ist allgemeiner Konsens. (Wobei gilt: je absurder die Ideologie, desto wichtiger die Feindbilder.)
Wie Sven antwortete, brauchen wir tatsächlich keine Feindbilder – und Schuldzuweisungen erst recht nicht. Was nicht ausschließt, dass wir Gegner haben – z. B. Nazis und ideologisch ähnlich gestrickte „Rechtsextreme“. Entscheidend ist, dass die rassistischen, homophoben, antisemitischen, sexistischen, sozialdarwinistischen, ultra-nationalistischen usw. Ansichten dieser Burschen wirklich gefährlich sind, für die Demokratie und die freie, offene Gesellschaft allgemein und für uns selbst. Für einige Ættlinge können sie sogar lebensgefährlich sein! Nazis usw. sind unsere Gegner, ja Feinde, wenn man so will – aber wir machen sie nicht für alle Probleme dieser Welt verantwortlich, und wir projizieren unsere Ängste nicht auf sie.
Unnötig eigentlich zu schreiben, dass es die Nornirs Ætt auch ohne unsere Gegner gäbe.
Wir brauchen sie weder für unseren Einsatz für die Menschenrechte (auch wenn die „Kackbraunen“ ohne Zweifel extrem menschenrechtsfeindlich sind), noch für unser gesellschaftliches Experiment „Demokratie, Kultur und Gemeinschaft“, geschweige denn für unsere, heidnische, „germanisch“ verwurzelte Spritualität!
Ich glaube, dass kann ich persönlich aufklären. Der Vortrag aus dem hier zitiert wird, habe ich im Rahmen eines Seminars gehalten, bei dem es vom Seminartitel und Aufbau her eindeutig, um heidnische Konstruktionen bzw. den Bezug auf heidnische Religionen im Rechtsextremismus geht. Der Seminartitel damals lautete:“ Runen, Ragnarök, Rassismus – nordische Götter und germanische Mythen im Rechtsextremismus“. Meine Aufgabe damals war es, die Funktion des Heidentums innerhalb der Neuen Rechten zu skizzieren. Und nur in diesem Rahmen sind meine Grundannahmen zu verstehen und richtig.
Pauschal auf alle Menschen angewandt, die sich als Heiden definieren, sind die Aussagen natürlich falsch. Ich muss allerdings zugeben, dass ich mir das im obigen Text aufgetauchte Missverständnis auch ein Stück weit selbst zuschreiben muss. Liest man nur die Einleitung meines Vortrags ohne den Rahmen zu kennen, ist das allerdings missverständlich formuliert. Ich darf allerdings versichern, dass den Teilnehmer_innen damals der Rahmen bekannt war.
Vielen Dank für die Klarstellung 🙂
Vielen Dank für die Klarstellung!
Mir war übrigens der Kontext, in dem Sie ihren Vortrag hielten, bekannt, und auch aus dem Vortragstext selbst wird schnell klar, was Sie tatsächlich meinen. Der Grund, weshalb ich Sie zitierte, ist, dass ich es leider in Diskussionen erlebt habe, dass die dem Vortrag vorangestellten Grundannahmen, ebenso wie einige aus dem Kontext gerissene Zitate aus Ihrem Buch, dazu benutzt wurden, um einen Generalverdacht gegen Heiden zu konstruieren.
Ich bin jedenfalls froh, dass meine Vermutungen, wieso Sie zu dieser Wortwahl kamen, nicht zutreffen.
Hallo,
stoße eher zufällig auf eure Site… ich kann gar nicht sagen, wie erleichtert ich bin, endlich einmal auf „Heiden“ (ist das nicht eigentlich ein abwertender Ausdruck, den die römische Kirche prägte?) zu treffen, die sich ganz bewusst abgrenzen von allem Völkisch-Braunen und die sich diesen Feindbildern und der von Herrn Jennerjahn beschriebenen Instrumentalisierung wirklich entgegenstellen.
Ist es nicht sogar so, dass gerade die ECHTE Rückbesinnung auf unsere Wurzeln der beste Schutz ist gegen die ganze Überfremdungs-Paranoia, den ganzen Fremdenhass?
Das ist vielleicht zuerst einmal etwas Innerliches: man gibt *im_eigenen_Inneren* der Rückbesinnung echten Raum: den Wurzeln, den Göttern – anstatt dauernd äußerlich irgendwelches Territorium „säubern“ zu wollen, bloß weil man in Wahrheit *in_sich_selbst* keine Heimat, keine Brücke findet.
Wenn ich aus meinen Wurzeln lebe, kann ich die anderen auch aus IHREN Wurzeln leben lassen.
Kämpfen brauche ich nur da, wo mir sogar diese einfache Freiheit verwehrt wird.
Oder ich verlasse solche unwirtlichen Orte eben einfach wieder.
Manche leben ja eh nur von der Provokation und wollen einen bloß triggern: Hauptsache Randale, Hauptsache nicht der inneren Leere (und Sehnsucht) begegnen: dabei ist da(hinter) gerade das Tor!