Ein Musterbeispiel für Raubgräbermentalität
Es ist schwer vorstellbar, dass der ehemalige RTL-Geschäftsführer und „Pionier des Privatfernsehens“, Helmut Thoma, locker und entspannt in einem Interview mit einer Sonntagszeitung zum Beispiel über Steuerhinterziehungen, Bestechungen, Unterschlagungen, Betrügereien oder mutwillige Vertragsbrüche reden würde. Mit einem Verbrechen, das Thoma nach eigenen Angaben verübte, tut er sich dagegen auffällig leicht.
In einem Interview mit der „Welt am Sonntag“ plauderte der ehemalige Geschäftsführer des privaten Fernsehsenders RTL darüber, wie er sich im antiken Palmyra als Raubgräber betätigte. Ohne das auch nur so etwas wie Unrechtsbewusstsein durchschimmert.
Was nicht nur für den Archäologen Andreas Schmidt-Colinet ein Skandal ist: „Ein Schlag ins Gesicht“ (epoc).
Wenn Herr Thoma tatsächlich Antiken aus Palmyra (Syrien) ohne offizielle Ausfuhrerlaubnis erworben hat, ist das schlicht Diebstahl. Hinzu kommt, dass bei Raubgrabungen, wie die, an denen Thoma nach eigenen Angaben beteiligt war, historische Kontexte unwiederbringlich zerstört werden – es also um weit mehr geht, als um die materiellen Werte. Wenn Thoma im Interview „Hobby-Archäologe“ genannt wird, ist das eine Beleidigung für die vielen engagierten und seriösen Amateur-Archäologen.
Ich finde es bezeichnend, dass Thoma – immerhin Dr. jur. – sein Verbrechen mit einen gewissen Stolz als Abenteuer zum Besten gibt. Mit unverkennbarer Nostalgie („Das waren noch andere Zeiten“) nach einer Zeit, als der Zoll in solchen Fällen noch nachsichtig war, und – das vermute ich aufgrund ähnlicher Fälle aus den 1980ern – die syrischen Behörden „angenehm“ korrupt.
Nun war Helmut Thoma als Medienmanager alles andere als unumstritten. Roger Willemsen behauptete von ihm, er wäre „der Mann, der im Fernsehen Charakter durch Kaufkraft ersetzt“. Damit war Thoma nicht allein, aber kaum jemand vertrat das Konzept „Quote vor Niveau“ so offensiv wie er.
Mir ist noch Thomas gescheiterter Versuch kurz vor dem (absehbaren) Platzen der „New Economy“-Blase ein Internet-Portal aufzuziehen, in lebhafter Erinnerung. Das Internetportal „Sportgate“ war für die rund 87.000 Vereine des Deutschen Sportbundes bestimmt. Ein Jahr nach der Gründung ging die Firma jedoch schon am 11. Juni 2001 Pleite, wofür sich der Vorstandsvorsitzende Helmut Thoma und der Hauptaktionär Boris Becker gegenseitig die Schuld gaben. „Von Beginn an war bei Sportgate Sand im Getriebe“ (SpOn).
Das Ende der Affäre: Boris Becker zahlt drauf (manager-magazin). Hingegen ist Thoma nach wie vor ein hoch geehrter Medienmacher, gefragte Experte, Aufsichtsratmitglied in wichtigen Medienunternehmen – und gilt immer noch als erfolgreicher Manager.
Was haben diese Vorfälle mit dem Grabraub zu tun? Die Mentalität des „chronisch guten Gewissens“.
Ich habe den Eindruck, dass Thoma als RTL-Geschäftsführer allem deshalb erfolgreich war, weil er skrupelloser und vor allem selbstgerechter als seine Konkurrenten war. In vielen Interviews, die Thoma gab, schob er mehr oder weniger elegant die Verantwortung für fragwürdige Entwicklungen von sich weg – ein Musterbeispiel ist dieses Interview, das er dem „Spiegel“ einige Zeit vor der „Sportgate“-Pleite gab: „Mehr als nackt geht nicht“ (SpOn). (Ich finde es schon bemerkenswert, wie Thoma, der kurz zuvor mehr Niveau im Fernsehen geforderte hatte, „Big Brother“ als innovatives Format lobte, dass er auf jeden Fall zu RTL geholt hätte.)
Wobei Menschen wie Thoma Symptome, aber nicht Ursachen, eines meiner Ansicht nach tief sitzenden Übels sind.
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