Gjallarhorn Weblog

Probleme, die keine sind

„Die Konstruktion virtueller Gefahren ist ein beliebtes Mittel zur Manipulation. Oft in Kombination mit dem Ignorieren echter Gefahren.“

(Karan)

Das gilt nicht nur für die sattsam bekannten Terrorwarnungen, oder Warnungen vor dem angeblichen Milliardenmarkt Kinderpornographie. Wobei es nicht uninteressant ist, sich anzusehen, welche Anschlagspläne medial hochgekocht werden – und welche eher nicht.

Nicht alle „Probleme“, die beim näheren Hinsehen gar keine Probleme sind, sind das Werk von Propaganda und PR, wie der Fall der sinnlosen Petition gegen ein angeblich geplantes Verbot für Heilpflanzen zeigt. „Virtuelle Gefahren“ können sozusagen spontan auf die Agenda kommen, wenn z. B. aus schlechten Erfahrungen resultierendes Misstrauen (in diesem Fall gegen die EU und gegen Großunternehmen der pharmazeutischen Industrie und ihre Lobbyisten) auf lückenhafte Information trifft: Sinnlose Panikmache wegen der Registrierung traditioneller, pflanzlicher Heilkräuter.
Was jedoch nicht ausschließt, dass sich geschickte Meinungsmacher solche unbegründeten Ängste zu nutzen machen. Die „Heilpflanzen-Petition“ ist Ausdruck des Misstrauens gegenüber den Institutionen der EU. Es würde mich nicht wundern, wenn das Heilpflanzenverbot, das keines war, noch jahrelang durch die Wahlkämpfe geistern würde, und zwar überall da, wo in populistischer Manier gegen „Brüssel“ agitiert wird.
Wie Schreckensmeldungen in den Medien „spontan“, das heißt eigentlich „strukturbedingt“ entstehen können, zeigt: Heißkaltes für die Notaufnahme (Geograffitico).

„Falls irgendwann irgendwo doch eine Pressemeldung erscheint, dass steigende Temperaturen das Unfallrisiko von Kindern erhöhen und dass daher eine globale Erwärmung (die nicht zu unterschätzen ist) noch gefährlicher werde als bisher befürchtet – lächeln und weiterblättern.“

Dann gäbe es noch hochgekochte Probleme, deren Gefahrenpotenzial theoretisch nicht von der Hand zu weisen ist, die aber wie die „demographische Lücke“ so lange nicht relevant sind, solange kaum jemand wirklich bis 65 arbeitet und solange sogar Menschen über „50“ Probleme haben, überhaupt Arbeit zu finden.
Ein anderes, gern genommenes Beispiel ist der „Fachkräftemangel“, den ich so lange für ein Medienphantom halte, solange es noch Ingenieure gibt, die Taxi fahren müssen.
Oder die „Integrationsverweigerer“ unter den Zuwanderern. Die gibt es sicherlich, aber im Grunde ist ein Einwanderer, der z. B. die Sprache seiner neuen Heimat nicht lernen will, schlicht dumm. Das selbe gilt für die geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze und Regeln einer Gesellschaft – wer die nicht beachtet, hat schlechte Karten. So dumm, sich dieser Integration zu verweigern, sind aber nur wenige (und am wenigsten übrigens sendungsbewusste Islamisten, also die zur Zeit am meisten gefürchtete Minderheit in Deutschland). Ich bin sicher nicht der Einzige, der den Verdacht hat, es würde hier gar nicht Integration, sondern Assimilation gefordert: Wer hier lebt, sollte sich gefälligst so verhalten wie ein „anständiger Deutscher“. Eine andere Interpretation etwa der scheinbar banalen Aussage des bayrischen Ministerpräsidenten Seehofer (CSU), wer in Deutschland leben wolle, der müsse auch bereit sein, die Alltagskultur zu akzeptieren, ist kaum möglich. Jedenfalls im Kontext von Seehofers markigem Spruch auf dem Deutschlandtag der Jungen Union (JU):

„Wir als Union treten für die deutsche Leitkultur und gegen Multikulti ein – Multikulti ist tot.“

Vielleicht betreibe ich hier ungewollt selbst Panikmache. Aber das Schema der Gefahrenkonstruktion kommt mir, bei einem Blick in die Geschichtsbücher und über die Landesgrenzen, allzu bekannt vor: „Das Vaterland“ ist in Gefahr, weil es von innen ausgehöhlt wird, unterwandert wird, weil Deutschland (wahlweise: „der Westen“, „Europa“, „das christliche Abendland“, „die jüdisch-christliche Kultur“ usw. usw.) sich abschafft!
Reale Gefahren und deren Ursachen treten gegen solche geradezu apokalyptischen Bedrohungsängste, bei denen es um „Alles oder Nichts“ geht, natürlich in den Hintergrund.

Zwar ist die „Heidenverfolgung“, die manche, vor allem völkisch gesonnene, Heiden die Wand malen, nur eine „virtuelle Gefahr“. Und selbst real bestehende Diskriminierungen sind ein Witz, verglichen zum Beispiel mit den Diskriminierungen, die gegen sexuelle Minderheiten (schwul, lesbisch, bi, trans) immer noch – oder wieder? – üblich sind.
Aber es kann uns trotzdem nicht kalt lassen, dass auch wir zu den „Bösen“ gehören, wenn immerhin die Bundeskanzlerin (sinngemäß) sagt: „Wer das christliche Menschenbild nicht akzeptiert, ist bei uns fehl am Platz.“
(Da findet sich sicher so mancher „stolzdeutsche“ Asatruar unversehens in einem Boot mit den verachteten „Musels“.)

Was tun? Es fällt auf, dass die „religiösen“ und „kulturellen“ Gefahrenszenarien doch sehr der Struktur eines schlechten alten Bekannten, des Antisemitismus, ähneln.
Besonders fällt das bei der Islamfeindlichkeit („Islamophobie“) auf. Bei ihr handelt es sich, wie beim Antisemitismus, nicht etwa um einen Religionskonflikt, sondern um Mechanismen der Ausgrenzung einer Gruppe, die zuvor als „feindlich“ und „fremd“ definiert wurde. Übrigens gibt es daneben auch eine unübersehbare Feindgruppenkonstruktion gegenüber den „neuen Atheisten“. Ein konkretes Beispiel: „Galle, Gift und Gotteswahn. Der Neue Atheismus auf dem Vormarsch“ (Vortrag von Dr. Alexander Kissler, im April 2010 im Erzbischöflichen Priesterseminar Köln). Dass wir neuen Hexen und Heiden, wenn überhaupt, allenfalls als Teil der „gefährlichen Esoterikwelle“ wahrgenommen werden, liegt meines Erachtens nur daran, dass wir so wenige sind. Weil es immer absichtliche Missversteher gibt: selbstverständlich ist damit nicht scharfe Kritik an esoterischen Praktiken gemeint, sondern etwa die Konstruktion einer „New-Age“-Verschwörung.
Es gibt einen einfachen Test, der verrät, ob es wirklich um Religionskritik oder um Feindbilder geht: Wenn „dem Islam“ die Verfehlungen einiger Moslems vorgeworfen werfen, „dem Atheismus“ die Verfehlungen einiger Atheisten (gern genommen: Stalin, Mao, Pol Pot, gern auch Hitler, obwohl der kein Atheist war), oder, konkret, „den Juden“ (auch denen in New York, Frankfurt oder Rio) die Verfehlungen israelischer Siedler im Westjordanland auf’s Brot geschmiert werden, dann geht es nicht um Kritik, sondern um Feindgruppenkonstruktion. Um vituelle Gefahren und virtuelle Gefährder. Und der Versuch, auch seitens demokratischer Parteien, sich aus wahltaktischen Gründen Sprüchen zu bedienen, die bei den Anhängern menschenfeindlicher Weltbilder Anklang finden, ist ein Spiel mit offenen Feuer in eine Scheune voller trockenem Stroh.

Daher erscheint mir diese Handreichung für Pädagogen und Pädagoginnen sehr nützlich zu sein, auch wenn es darin ausdrücklich um den Antisemitismus (der keine Meinung, sondern ein wahnhaftes Verbrechen ist) geht: Was kann getan werden gegen Antisemitismus?.

(…) Die autoritäre Psyche der Antisemiten ist dabei von Angst bestimmt. Der Angst „vor sich selbst, vor seinem Bewusstsein, vor seiner Freiheit, vor seinen Trieben, vor seiner Verantwortung, vor der Einsamkeit, vor der Veränderung, vor der Gesellschaft und der Welt…“ (Sartre 1994) Er sieht sich selbst oder das „deutsche Volk“ als das Konstante, das Gute welches unantastbar ist. (…)

Es gibt in der Tat einen „Teufelskreis“ aus Angst, Angstprojektion auf eine „Feindgruppe“ (traditionell: die Juden), die wiederum Ängste erzeugt, die wiederum die Projektion auf die „Volksfeinde“ verstärkt.

Um es noch einmal deutlich herauszustellen: mit manifest autoritären Charakteren, aus welchen sich auch die Antisemiten rekrutieren, lässt sich nicht über Klischees und Vorurteile diskutieren.

Es gilt also: mit Hetzern, Rassisten, Antisemiten, Schwulenfressern usw. redet man nicht. Man redet über sie!
Mit Antidemokraten koaliert man nicht. Und man unterlässt auch „taktische“ politische „Überlegungen“, wie sie etwa Hans Püschel, immerhin Bürgermeister und SPD-Mitglied, so „schön“ vorführt: SPD-Bürgermeister: NPD als “rechten Sturm einsetzen”.
Und vor allem gilt: Sich keine Angst machen lassen! Vor allen nicht von jenen, die innerlich vor Angst schlottern.

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