Goden ohne Boden (Teil 2)
Tanz der Vampire
Die Wanderprediger des Neuheidentums, die Jüngersammler der Kult-Eklektizisten, die paganen Petrusse der Esofischteiche – ob sie nun germanisch tümeln oder keltisch okkulteln, schamanisch trancen oder dies alles zusammenmixen, um letztlich ihren Autoritätsanspruch zu betrommeln:
Sie haben Gemeinsamkeiten. Sie fordern Respekt, den sie selber nicht aufbringen. Ihr Feingefühl ist das von Planierraupen, ihre Lehrbereitschaft gleicht Wasserrohrbrüchen. Sie geben Antworten, mögen sie gefragt sein oder nicht. Sie pochen auf ihr Ehrgefühl, was sie aber selten davon abhält, hinten wieder reinzutrapsen, wenn sie vorne rausgeschmissen wurden. Sie haben keine Vorstellung von Würde – außer der, dass ihr „Amt“ ihnen welche verleihen müsse (weshalb sie so penetrant auf dessen Anerkennung beharren: als ihrem einzig denkbaren Quell einer „Würde“). Etwas Wirkliches können sie aber nicht verbinden mit diesem Begriff, weshalb sie ja auch so stehaufmännchenartig wieder herantrappeln nach jedem real erhaltenen Arschtritt: Sie haben nichts, worunter sie letztere Lebenserfahrung abspeichern können, egal, wie oft sie ihnen widerfährt. Abfuhren lagern sie als folgenlose „Error“-Meldungen in ihrem Gedächtnix, die sie bestenfalls als Unbotmäßigkeiten eines vagen Heers „Unbelehrbarer“ zu interpretieren wagen… Womit sie freilich den letzten seelischen Notausgang verpassen: die Chance einer Selbsterkenntnis durch Außenspiegelung.
Ihr Sendungsbewusstsein ist so unverwüstlich wie manche dieser „Dialogboxen“, die wiederaufpoppen, egal wohin man klickt. Sie tragen Namen und, vor allem, Titel. Sie treten auf als Beauftragte ganzer Kulturen, wenn nicht gleich als deren Quintessenz, und weil diese Kulturen zufällig entweder weit weg oder längst ausgestorben oder beides sind, erklären sie sie uns. Dabei beanspruchen sie unantastbare Deutungshoheit. Zweifel an der Richtigkeit ihrer Ansichten sind für sie identisch mit Angriff auf den Lehrmeister, womöglich gar auf göttliche Instanzen. Widerspricht man ihnen wiederholt, fühlen sie sich „zensiert“ und beklagen sofort „Hexenjagd“, mitunter gar „Faschismus“ (besonders pikant, wenn sie selber munter jenseits der Menschenrechte herumschwadronieren: was die meisten von ihnen tun, da ihre egomanische Blick-Einkrümmung auf den eigenen Bauchnabel sie blind macht für Fragen ethischer Tragweite). Kritischer Diskurs ist ihnen vollkommen wesensfremd: wahrscheinlich eine Erfindung des von ihnen mit einiger Sicherheit irgendwo verorteten „Feindes“. Noch ganz normalen Dialog betrachten sie als mehr oder minder verzeihliche Unterbrechung ihres Monologes durch Unwissende. Sie beanspruchen Autorität, die meist in krassem Missverhältnis zu ihrer Überzeugungskraft steht. Und je weniger Widerhall sie finden, desto langatmiger und lauter predigen sie. Sie kennen keine Selbstzweifel, denn diese setzen ja ein Selbst voraus. Das ihre aber spüren sie nicht, und so schwirren sie herum wie immerhungrige Vampire: auf der für sie lebensnotwendigen Jagd nach Geltung und Bedeutung. Zur Not fressen sie auch das faulige Aas blanker Aufmerksamkeit. Nur eins sind sie nicht, die Wanderprediger des Neuheidentums: zu beneiden.
Bei alledem unterscheiden sie sich merkwürdig wenig von den Propheten des Monotheismus, denn wie bei jenen sind ihre Erkenntnisse meist offenbarungsartig gottgesandt.
Ja, gern listen sie zusätzlich ihre „Ausbildungen“ auf – vom Wochenendworkshop bis zum langjährigen Atemheber und Heilwasserträger bei Gundel Gorgonzola-Gatsch Gydhia und Swami Salami Sockenschuss persönlich. Ihre Referenzlisten nennen Namen, von denen man unwillkürlich hofft, dass die ihnen zugrundeliegenden Zustände nicht ansteckend sind. Angesichts dort und derart „Ausgebildeter“ fragt man sich: Meinen die das ernst? Verbringen sie womöglich ihr Leben so? Als Geisterbahnfahrten durch ein Nichts von Schall und Rauch? Immer auf der – weitgehend inhaltsfreien – Suche nach äußerer Bedeutung?
Sie predigen die Wahrheit, nur und immer – doch jede andere bedroht die ihre durch bloßes Existieren. Du darfst zwar deine eigene Meinung haben, aber nur als Irrtum. Bist dann halt „noch nicht soweit“! In der Tat: Genau dies ist zu hoffen.
Wie alle kleinmütigen Autoritäten beleihen auch diese die ihre „von oben“: im Heidenfalle meist gleich durch die oberste Instanz, die Götter, das Göttliche. Das macht diese Art von Predigern hierarchieabhängig: Jenseits davon können sie sich überhaupt nichts vorstellen. Dadurch fühlen sie sich auch derart gezwungen, uns und unsere Welt zu sortieren, letztlich: zurechtzuweisen. Jede Abweichung von ihrem inneren Schema gefährdet ihre Identität. Ihre Seelen müssen in „eisernen Jungfrauen“ stecken. Der kreativen Kraft eines gesunden Geistes sind sie so fern wie der Katholenpapst Naturgottheiten.
Die Beruhigungsdroge
Im Kleinen spiegelt sich für gewöhnlich das Größere, und wahrscheinlich fällt es allein Heiden selten auf, dass ihre Gruppierungs- und Organisationsmodelle, ja ihre Moden und Marotten meist ziemlich unfreiwillige Karikaturen mehr oder minder aktueller Zustände der größeren Gesellschaft darstellen – insofern folgerichtig, als dass sie derselben ja letztlich entstammen (und so rum wie so rum Teil von ihr bleiben). Natürlich versucht auch die Öffentlichkeit, Strömungen wie das Neuheidentum vor allem durch den Blick auf dessen vermeintliche Repräsentanten zu erfassen: Und hier schlägt sie endlich, die Stunde unserer nicht grund-, aber ganz und gar bodenlosen Goden, sonstiger Vorbeter und Möchtegern-Päpste. Bei der eigenen Wunschklientel mehr verlacht als umstritten, mehr abgeblitzt als abgenickt, mehr ignoriert als mitgetragen, finden die Dünkelkranken vor Mikrofonen und Kameras endlich Gehör, Scheinachtung, Aufmerksamkeit: Die Presse erwartet Rumpelstilzchen, und, voilá – die Presse bekommt ihre Rumpelstilzchen – willig breiten die ihre kruden Weltsichten aus und merken gar nicht, wie sie vorgeführt werden.
Noch jeder Heidenfürst hat die Vorurteile, die ihm von einer misstrauischen Öffentlichkeit entgegenbranden, aufs Peinlichste bestätigt.
Die Schnellschuss-Journaleros und ihr Medienfutter, die als Freaks Vorgeführten, sind sich einig. Gemeinsam ist ihnen die Täuschung, dass es sich dabei um etwas Repräsentatives handle. Die Journalisten wissen es nicht besser – und vermissen nichts: Schließlich ist das eh schon so ähnlich Erwartete immer auch die am einfachsten zu präsentierende Story. Die Vorgeführten wollen es nicht wissen: Erfährt ihre mit Sprechblasen und mystischen Titeln superlativ überwucherte Bedeutungslosigkeit hier doch endlich mal einen Hauch von Halt in Form hörbaren Widerhalls. Journalisten wie Zuschauer mögen die Köpfe schütteln über die wahnwitzige Weltfremdheit solcher Figuren, aber eines glauben sie ihnen: Dass wir alle so seien wie die. Schließlich sind das ja unsere Repräsentanten, oder? Sie geben sich als solche aus, und warum um alles in der Welt sollten Presse und Öffentlichkeit ihnen ausgerechnet das nicht glauben? Ist es doch oft das einzige, was in dem ganzen Sermon überhaupt glaubhaft klang! (Unzufällig ist dieses Repräsentierenwollen ja auch das einzige echte Motiv der dieserart Vorgeführten!)
Da mögen sich die Nägel der Wiccas im Allgemeinen und der Dianics im Besonderen noch so hochkrümmen – als „König der Hexen“ fände noch der letzte Grenzdebile ins Fernsehen, und reichten seine Knotenzauberkünste auch kaum aus, sich auch nur eigenhändig die Schuhe zuzubinden. Aber gerade solcherlei Versagen findet ja rasch öffentlichen Beruhigungsbeifall: Keine Bange, Leuts, das sind bloß Spinner… Selbst wenn die nicht „bloß spielen“ wollen (man weiß ja nie…) – sie vermögen nichts. Schaut her, wie sie scheitern. Fast ein bißchen sympathisch, nicht wahr?
Das ist die unterschwellige Botschaft von TV-Beiträgen (gemeint sind jetzt hier nur die medienseits gutwillig motivierten), die mit Vorliebe zeigen, wie irgendeine Hohepriesterin ihr Räucherwerk nicht ankriegt oder dem Oberschamanen ein paar Spaziergänger durch den frischgezogenen Schutzkreis latschen. Auf ein grund- und vorsätzlich verunsichertes Allgemeinpublikum haben solche Bilder Beruhigungscharakter – nebst des Trostes, sich beim eigenen Scheiß nicht ganz so deppert fühlen zu brauchen, da es ja anscheinend noch viel beknacktere Gestalten gibt, in unserer schönen Welt.
Auch die dieserart Vorgeführten sind beruhigt, da endlich mal beachtet worden. Mögliche Unzufriedenheiten mit den (zumeist ja entsprechend dürftigen) Ergebnissen sind mittels Schwarzweißdenken schnell der tendenzparanoiden Grundhaltung („alle haben was gegen Heiden“) angepaßt und ohne Selbstkritik verdaut.
Was dabei natürlich permanent auf der Strecke bleibt, ist der Ruf des Heidentums in der Öffentlichkeit. Der bleibt so bodenlos wie seine schlechtesten Vertreter. Vielleicht sollte heid mal betonen, daß die keiner von uns bestellt oder gerufen hat. Und berufen schon gar nicht.
Es geht auch anders
Um Mißverständnissen vorzubeugen: Ich habe nichts gegen Goden. Ich bin selber einer. Allerdings spielt Letzteres – und hier liegt der feine Unterschied zu den oben Beschriebenen – überhaupt keine Rolle: außerhalb der überschaubaren Gemeinschaft, die mich dazu gewählt hat. Und selbst innerhalb dieser bin ich in keiner Weise sonderberechtigt oder weisungsbefugt: Mein „Amt“ enthält keinerlei Privilegien, sondern ist ein Angebot an diese eine Gruppe, das mich ihr und ihren Mitgliedern (und niemandem sonst) verpflichtet. Voraussetzung dafür war, nach praktischem Probejahr, das einstimmige Vertrauensvotum der Gemeinschaft: Gydhia oder Goði kann bei uns nur werden, wer ausdrücklich von jeder und jedem Einzelnen der Gemeinschaft dazu anerkannt und bestätigt wird. Diese Bindung ist mein Boden, und daher braucht unsereiner nirgends um Anerkennung zu buhlen. Der ganzen großen weiten Welt kann es pupsegal sein und bleiben, was für eine Funktion ich für ein paar Freunde und Vertraute ausübe und wie die in unserem festen Kreis definiert ist. Ich wiederum hätte nicht das geringste Bedürfnis, weiteren, womöglich größeren Kreisen dienen zu wollen: Wie zum Donner sollte ich das bewältigen – und dann noch verantworten?
Freilich will die kleine Gemeinschaft, der ich angehöre, keinen Weltruhm einheimsen oder irgendein Heidentum repräsentieren, sondern eine zeitgemäße Form germanischer Kultur leben. Um die zu schaffen, erforschten wir weniger alte Scherben als vielmehr den Geist, der die einstigen Pötte schuf, will sagen: Zwar fanden auch wir immer ganz interessant, wie Angehörige altgermanischer Gemeinschaften ausgesehen haben mochten – viel maßgeblicher für uns aber war und ist, wie sie dachten: unter welchen Voraussetzungen sie welche Ideen hatten, und was sie daraus machten. Was uns davon sinnvoll anwendbar schien (auch und gerade aus der historischen Distanz: nützen soll man, was man eh schon hat, insbesondere, wenn einem sonst wenig übrigbleibt…), probierten wir aus: an uns selber natürlich. Unsere heutigen Regeln sind eine Mischung aus verschiedenen altgermanischen Ideen, die sich auch in einer Gemeinschaft des 20. und 21. Jh. bewährten, sowie eigenen, die im Laufe 13jähriger Praxis entstanden. Alles zurechtgeschnitten auf die speziellen Erfordernisse dieser Gruppe, in konsensdemokratischer Kleinarbeit.
Das ist sicher nicht die einzige mögliche methodische Alternative zu den weiter oben beschriebenen Zuständen – es ist nur die mir bekannteste, und für mich am besten passendste. Beides liegt daran, daß ich sie seit langem mitgestalte. Das aber hat wiederum nichts damit zu tun, ob oder was für einen Titel ich trage, für wen der gilt und was das bedeutet. Gruppenintern haben wir auch schon mal überlegt, ob wir solche Titel überhaupt brauchen – oder vielleicht abschaffen sollten. Wir werden sehen. Wie auch immer wir das entscheiden: Das geht nur uns an, betrifft auch niemanden sonst.
Undenkbar, solche Gedanken, offensichtlich: für manch Ganzandere
Denn der Begriff „Gode“ ist in Österreich gesetzlich geschützt. Natürlich nicht in Form irgendeiner inhaltlichen, geschweige denn einer historisch auch nur halbwegs korrekten Bedeutung – sondern in einer ausschließlich zeitgenössischen: als Markenname nämlich. Das heißt: Niemand anderes als die Inhaberfirma darf mit dieser Marke Geschäfte machen. Also paßt auf, wenn ihr auf die Mittelalter-, Eso-, Yule- und sonstigen Märkte geht: Kauft und verkauft ja keine Goden, sonst macht ihr euch strafbar. Das Godengeschäft ist fest in der Hand einer Esofirma, die u.a. „ethisch integral naturgeweihtes Seidr“ anbietet und vieles mehr.
Vielleicht ist von Euch jemand so wief und läßt sich jetzt mal den Begriff „Seidr“ patentieren – was dat meint is´ völlich pups, ich erklär´s Euch gern später – dann können die sich ihren Krampf (was immer die unter Seidhr, wie man´s eigentlich schreibt, verstehen) ganz „ethisch integral geweiht“ in den Hintern rammen!
Wär doch ein lustiger Sport: Wer patentiert welchen Schmäh am schnellsten?
Aber auch jenseits des Marktes, und auch wenn Ihr selber gar keine Goden seid, weder integral noch beseiert, und – wer wollt´s Euch verdenken – so ähnliche Voll-Ideoden lieber gar nicht erst kennenlernen wollt: Falls Ihr doch mal welche trefft (die Bodenlosen laufen einem nämlich meistens nach, da braucht man selber gar nicht suchen):
Laßt Euch nicht für dumm verkaufen.
Eibensang (Duke Meyer) 2008
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