Gjallarhorn Weblog

Alle Jahre um Ostern herum: christlicher Antisemitismus hat Hochsaison

Es ist endlich Frühling. Die Vögel singen, Blumen blühen, die Blätter trieben aus … und die Fundi-Christen ticken aus.
Jedenfalls drängt sich mir dieser Eindruck anhand solcher Meldungen auf: US-Polizei hebt Zelle christlicher Paramilitärs aus (Spon).
Wie übrigens auch die Aktivitäten christlich-fundamentalistischer Milizien in Zentralafrika jene Lügen straft, die ausschließlich „islamische Fundamentalisten“ für gefährlich halten: Rebellen der „Widerstandsarmee des Herrn“ (LRA) haben im Nordosten des Kongos mehr als 300 Menschen brutal ermordet. Grausames Massaker im Norden Kongos: Mit Äxten und Macheten (taz). „Islamische Fundamentalisten“ steht deshalb in Anführungszeichen, weil längst nicht jeder gewalttätiger Islamist auch Fundamentalist ist und die wenigsten Fundamentalisten gewaltbereit sind. Das gilt für christliche Fundamentalisten übrigens auch, aber das ist kein Grund, religiösen Fanatismus als Tatmotiv zu verschweigen.
Zum frühjährlichen „Austicken“ christlicher Fundamentalisten zähle ich auch nicht gewalttätige, aber frauenfeindliche und homophobe Aktionen wie der „1000 Kreuze Marsch“ der evangelikalen Organisation „EuroProLife“, der dieses Jahr in Münster dank Gegendemo ein Flop war.

Auch nicht-fundamentalistische Christen pflegen so manchen Brauch, der sich überhaupt nicht mit der milden Lehre eines als Jesus bekannten jüdischen Rabbis, aber leider sehr gut mit den blutigen Exzessen aus fast 2000 Jahren Kirchengeschichte verträgt. Um Ostern herum, einem Fest, dessen Wurzeln außer in heidnischen Frühlingsbräuchen im jüdischen Pessach liegen, und das an einen Justizmord an einem jüdischen Pazifisten durch die römischen Besatzer erinnert, erlebt der christliche Antijudaismus seinen traditionellen jährlichen Höhepunkt. In der Karfreitagsliturgie schlägt sich der Antijudaismus in der „Karfreitagsfürbitte für die Juden“ nieder. In der alten lateinischen Karfreitagsmesse wird der jüdische Glauben iudaica perfidia („jüdische Treulosigkeit“) genannt und Gott darum gebeten, den Juden „die Erkenntnis Jesu Christi zu schenken“. Bis 1956 blieb diese scharf antijüdische „Fürbitte“ in der römisch-katholischen Kirche unverändert gültig. Seitdem wurde sie abgemildert, bis zur kirchenamtlichen Normalfassung von 1970, die das Judentum anerkennt.
Joseph Ratzinger, alias Papst Benedikt XVI., hat aber 2007 die Anwendung der lateinischen Messe (in der Fassung von 1962) erleichtert, um „katholischen Traditionalisten“ (die nach den außerhalb der römisch-katholischen Kirche üblichen Maßstäben „katholische Fundamentalisten“ genannt werden müssten) entgegenzukommen. Seit 2008 lautet der erste Satz der „Führbitte“ in der Neuformulierung Ratzingers: „Oremus et pro Iudaeis. Ut Deus et Dominus noster illuminet corda eorum, ut agnoscant Iesum Christum salvatorem omnium hominum.“ („Lasst uns auch beten für die Juden, auf dass Gott, unser Herr, ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus erkennen, den Retter aller Menschen.“) Das ist, anders kann man es kaum auffassen, eine bewusste Missachtung der jüdischen Religion und ein Aufforderung zur längst überwunden geglaubten „Judenmission“. Schlimmer noch: damit ist der traditionelle christliche Antijudaismus in der römisch-katholischen Kirche quasi wieder „salonfähig“, was auch Antisemiten außerhalb der Kirche ermütigen dürfte.
(„Antijudaismus“ wendet sich gegen die jüdische Religion, „Antisemitismus“ gegen die Juden als solche: für einen Antisemiten ist auch ein nicht-gläubiger Jude immer noch Jude. In der Paxis lassen sich Antisemitismus und Antijudaismus so gut wie nie voreinander unterscheiden.)
Lange gehörte zu den gern gepflegten christlichen Osterbräuchen das symbolische Verbrennen von Juden, bis, nachdem einige Millionen Juden in deutschen Verbrennungsöfen ganz real verbrannt worden waren, solche alte Bräuche ab Mitte des 20. Jahrhunderts zumindest im deutschen Sprachraum nicht mehr so richtig „politisch korrekt“ waren.

Aus neuheidnischer Sicht mag der vergleichbare „lustige“ Bauch, zur Walpurgisnacht symbolisch „Hexen“ zu verbrennen, nur ein Ärgernis sein. Allerdings dürfte es in Mitteleuropa nur noch wenige Menschen geben, die Menschen unter dem Vorwurf der Hexerei umbringen wollen – in einigen Regionen Afrikas, in Teilen Indiens, aber auch in Saudi-Arabien, wo Hexerei immer noch mit dem Tod bestraft wird, sieht das leider anders aus. Ansichts antisemitischer Gewalttaten, auch hierzulande, steckt für Juden hinter der scheinbaren „Gedankenlosigkeit“ eine reale Bedrohung: Immer wieder zu Ostern: Ritualmordlegenden und Talmudlügen (hagalil.de).

Auch die Fans der „Weltverschwörungstheorien“, die ja gerne strukturell antisemitisch sind, auch wenn sie sich „nur“ gegen die „US-Ostküste“ (oder die pösen, pösen Illuminaten oder sonstige Munkelmänner) wenden und sich allenfalls „antizionistisch“ geben, greifen außer auf gefälschte Talmudzitate gern auf die Ritualmordlegende zurück – durchaus im modernen Remake, wie die absurden Organraubgeschichten aus Haiti.

Ein Gedanke zu „Alle Jahre um Ostern herum: christlicher Antisemitismus hat Hochsaison

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