Anmerkungen zum „Exorzismus-Revival“
Die meisten Menschen kennen Exorzismus zum Glück nur aus Gruselfilmen. Allenfalls in „unterentwickelten“ Ländern oder in weltfremden Sekten scheint es noch solche „voraufgeklärten “ Praktiken, so nach „Mittelalter“ klingenden Riten zu geben. Allerdings ist Exorzismus durchaus kein „exotisches“ Phänomen: es gibt ihn auch heute, auch in Deutschland und auch und vor allem in der römisch-katholischen Amtskirche.
Es geht im Folgenden nicht um den „kleinen Exorzismus“ oder, im Sprachgebrauch der katholischen Kirche „einfachen Exorzismus“, also bannende oder „dem Bösen entsagende“ Rituale. Gemeint ist der „große Exorzismus“, das, was gemeinhin „Teufelsaustreibung“ genannt wird. Da ich kein Psychologe oder Psychiater bin, mag ich mich zum Phänomen der „Bessenheit“ – ob es real ist, inwiefern es eine Form der Psychose darstellt, was es mit den „Dämonen“ auf sich hat usw. – an dieser Stelle nicht äußern, obwohl ich darüber sehr wohl eine Ansicht habe.
Der „große Exorzismus“ ist weiterhin Bestandteil der römisch-katholischer Lehre und jener der orthodoxen Kirchen. Außerdem sind z. T. recht heftige exorzistische Praktiken in evangelikalen Kirchen weit verbreitet.
Wichtiger als die Frage nach der Natur der „Besessenheit“ ist, dass ein Exorzismus für die „Bessesenen“, denen die „Dämonen“ ausgetrieben werden, selbst bei einfühlsamer, verständnisvoller und psychologisch sachkundiger Ausführung eine enorme Belastung ist.
Nach katholischer Praxis besteht ein „großer Exorzismus“ darin, dass zunächst der Dämon „bedroht“ wird. Dann wird der „Name“ des Dämonen erfragt – gemäß der Vorstellung, dass die Kenntnis des Namens magische Macht über den Namensträger verleiht. Anschließend wird der Dämon mit einem „Ausfahrwort“ bedacht, und zwar kraft der geistigen Autorität, die Jesus „seiner“ Kirche verliehen hat. (Das Prinzip ist also: Jesus ist stärker als der Teufel bzw. dessen Dämonen, ein Priester in der Nachfolge Jesus kann sich auf dessen Autorität berufen und den Dämonen in seinem Namen vertreiben.) Dem schließt sich ein Rückkehrverbot für den oder die ausgetrieben Dämonen an.
Der „große Exorzismus“ setzt also ein streng dualistisches Weltbild, in denen die Mächte des Guten und die des Bösen um die Seele der Menschen kämpfen, voraus. Der Teufel ist darin eine reale, intelligente, mit eigenem Willen ausgestattete Wesenheit, eine Art Antigott, nicht etwa „nur“ ein Symbol für „das Böse im Menschen“, ein Archetypus oder gar nur eine „Allegorie des Bösen“. Die Dämonen sind grundsätzlich „böse“ – so etwas wie ein wohlwollender, hilfreicher oder neutraler „Daimon“, von dem etwa Sokrates sprach, ist in diesem Weltbild nicht vorgesehen.
Tatsächlich kommt der christliche Exorzismus nicht aus der jüdischen, sondern der hellenistischen Tradition – Jesus lebte nun einmal in einer teilweise hellenistisch geprägten Umwelt, und die Evangelisten dachten mehr oder weniger hellenistisch. Im heidnischen Griechenland unterschied man aber zwischen hilfreichen Eudaimonen und schädliche Kakodaimonen. Wenn es diese Unterscheidung im frühen Christentum noch gegeben haben sollte, verschwand sie spätestens durch die Einflüsse des Manichäismus. In der manichäistischen Weltsicht stehen sich das göttliche Lichtreich und das Reich der Finsternis als Gegner gegenüber – anders als im jüdischen Denken, dem der Satan („Ankläger“) „Beauftragter“ des einzigen Gottes ist, also nicht dessen eigene Ziele verfolgender Gegenspieler.
Das quasi-manichäistische „schwarz-weiß“-Denken in den christlichen Kirchen ab der Spätantike dürfte sehr stark vom Philosophen und „Kirchenvater“ Augustinus von Hippo geprägt worden sein. Augustinus war Manichäer, bevor er zum Christentum konvertierte und die Manichäer wortmächtig angriff. Wahrscheinlich war Augustinus auch als Christ noch vom Manichäismus beeinflusst gewesen. Dafür spricht der Dualismus zwischen den Reichen der Guten und des Bösen in seinem Werk De civitate Dei, „der Gottesstaat“, die Fegefeuerlehre, die Höllenlehre, die Erbsündenlehre und vor allem die Prädestinationslehre . Ohne all dies hätte der „große Exorzismus“ der Kirchen – wenn es ihn überhaupt noch gäbe – sicher einen völlig anderen Charakter.
Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass allein der „christliche Exorzismus“ problematisch sei. Immerhin geht er auf heidnische Vorstellungen zurück, und immerhin spielen exorzistische Praktiken in vielen traditionellen Schamanismen und im Neo-Schamanismus eine große Rolle. Vor allem die atemberaubend dilettantischen Praktiken mancher Esoteriker und vieler „Auchmal-Okkultisten“ dürften ziemlich heftige psychische Schäden hinterlassen.
Allerdings ist die Frage nach der Verantwortung bei großen Amtskirchen mit beachtlichen gesellschaftlichem, politischen und persönlichen Einfluss, die sogar von Nichtmitgliedern als moralische Autoritäten wahrgenommen werden, sehr viel wichtiger.
Nun spielt sich, zum Glück für die „Besessenen“, nicht jeder „große Exorzismus“ ähnlich ab wie im Film. Dennoch gibt es immer wieder Fälle, die aus einem Horrorfilm der heftigen Sorte stammen könnten. Schlagzeilen machte im Jahr 2005 der Fall der jungen Nonne Maricica Cornici, die im rumänischen Kloster Tanacu bei einem exorzistischen Rituals an ein Kreuz gebunden wurde und an den Folgen starb.
In Deutschland wirkt der „Fall Michel“ bis heute nach. Am 1. Juli 1976 starbt im unterfränkischen Klingenberg die Studentin Anneliese Michel bei einem vom damaligen Würzburger Bischof Josef Stangl genehmigten Exorzismus an Entkräftung. Die junge Frau, die die ärztliche Behandlung abgebrochen hatte, wog nur noch 31 Kilogramm. Anneliese Michel litt an Temporallappenepilepsie, einer Krankheit, die oft mit depressiven und paranoiden Phasen einhergeht – und das war ihren Exorzisten bekannt. (Wikipedia-Artikel: Anneliese Michel.) Auch die katholische Lehre unterscheidet schon lange zwischen psychisch Kranken und „Besessenen“, wobei Kranke nicht exorziert werden dürfen.
Es ist bemerkenswert, wie viele Entwicklungen in der katholischen Kirche direkt oder indirekt vom „Fall Michel“ beeinflusst wurden. Erst durch diesen Skandal kam ein lange Jahre geduldeter und unter den Teppich gekehrter Missstand ans Licht der breiten Öffentlichkeit.
Die 1999 beschlossenen neuen Exorzismusrituale der katholische Kirche, die solche tödlichen Zwischenfälle wie in Klingenberg verhindern sollen, geht dann auch auf eine Anregung der deutschen Bischofskonferenz zurück. Allerdings halten viele Exorzisten das geänderte Ritual für völlig unbrauchbar. Fast alle als Exorzist ausgebildeten Priester verwenden weiterhin das alte „Rituale Romanum“ von 1614, das durch das Eingreifen von Kardinal Joseph Ratzinger (damals Leiter der Glaubenskongregation) weiterhin erlaubt ist.
Daher ist es nicht weiter verwunderlich, dass unter Ratzinger (Papst Benedikt XVI.) wie schon unter seinem Vorgänger Karol Wojtyła (Johannes Paul II.), weiterhin Exorzisten ausgebildet werden. Im Jahre 2003 wurden laut „Spiegel TV“ in Italien circa 200 Priester als Exorzisten bestellt. Ratzinger äußerte mittlerweile die Absicht, 3.000 neue Exorzisten ausbilden zu lassen. Der Exozismus gewann in der römisch-katholischen Kirche in den letzten Jahren an Bedeutung, möglicherweise angeregt durch die „Konkurrenz“ der fundamentalistischen evangelikalen Kirchen, die den Teufel und dämonische Besessenheit schon lange erfolgreich „anbieten“. Jedenfalls bietet der Vatikan seit den 1990er Jahre verstärkt Exorzismuskurse. 2004 fand die erste internationale Exorzismuskonferenz in Mexiko statt, auf der (für einen Nicht-Christen: paradoxerweise) beschlossen wurde, verstärkt gegen den Okkultismus vorzugehen.
Während einer Generalaudienz auf dem Petersplatz am 15. September 2005 wandte sich der Papst an die Teilnehmer des Nationalkongresses der italienischen Exorzisten und ermutigte sie dazu, „mit ihrem wertvollen Dienst an der Kirche fortzufahren“.
Vor diesem Hintergrund verwundert es dann auch nicht, wenn in Polen katholische Kirchfunktionäre zu viel Böses in der Welt am Werke sehen – und deshalb mehr Exorzisten fordern.
Gesteigerter Bedarf an Teufelsaustreibern (neues deutschland).
Erstmals wurden dieses Jahr vertrauenswürdige Journalisten aus den Religionsressorts elektronischer und gedruckter Medien zur halbjährlich stattfindenden Exorzistenkonferenz eingeladen. Der von der polnischen Bischofskonferenz benannte Koordinator der Exorzisten, Pfarrer Marian Piatkowski, gab bekannt, dass die mehr als 80 in den 48 Diözesen zum „besonders wertvollen Dienst an der Kirche“ berufenen Geistlichen bereits zum 22. Mal über die „Vertiefung des Wissens von den Dämonen“ berieten.
Offensichtlich wird das von Teilen der „katholische Basis“, von den einfachen Frommen, begrüßt und verlangt – als Kampf gegen das Böse, das sie sich, durchaus in Übereinstimmung mit den Katechismus, als Wirken eines verführenden, quälenden und von der Seele des Menschen Besitz ergreifenden Teufels und seiner Dämonen vorstellen. Beängstigend dabei ist, dass als Zeichen einer beginnenden „Besessenheit“ auch Depressionen und Hoffnungslosigkeit gelten – oder aber anhaltende Bauch-, Rücken und Halsschmerzen. Dem entsprechend dürfte es sehr viele „Verdachtsfälle“ geben – und die Schwelle zur religösen Hysterie ziemlich niedrig liegen.
Jedenfalls braucht die römisch-katholische Kirche dringend neue „qualifizierte Kräfte“, um der Nachfrage der Kirchengemeinden nachzukommen.
Auch in Deutschland ist das „Exorzismus-Revival“ unübersehbar – wobei es letzten Endes egal ist, ob das auf zunehmend auf „Kampf der Zivilisationen“ gebürstete Theologen und auf „christliche Werte“ der autoritären Art einfordernde Politiker zurückzuführen ist – oder doch eher auf das Kalkül, dass „harte Religiosität“ gefragt ist und der drohenden Abwanderung fundamentalistisch gesonnener Christen aus der römisch-katholischen Kirche vorbeugt. Jedenfalls spielt es eine Rolle, dass der „Fall Michel“ nicht mehr so sehr im öffentlichen Bewusstsein präsent ist wie noch vor wenigen Jahren, und dass die katholische Kirche als ethisch-moralische Instanz in Medien und Politik bemerkenswert wenig hinterfragt fragt.
Man muss fairerweise erwähnen, dass die deutsche katholische Bischofskonferenz, die ja auch beim „entschärften“ Exorzismus-Ritual von 1999 federführend war, sich dem Wunsch des Vatikan, jedes Bistum möge einen Exorzisten ausweisen, widersetzt. Es sei kein Bedarf da. Doch wird nach Aussagen verschiedener Beteiligter in Deutschland beinahe täglich ein Exorzismus vollzogen, meist inoffiziell und ohne Wissen der Diözesen.
Es existiert also offensichtlich ein „ritueller Schwarzmarkt“. Der Schluss liegt nahe, dass es grundliegende spirituelle Bedürfnisse gibt, die ein Exorzismus bedient. Bedürfnisse, die innerhalb der Denkstrukturen des „volksfrömmigen“ katholischen Christentums am „systemkonformsten“ in Form des „großen Exorzismus“ befriedigt werden können.
Damit ist keineswegs gesagt, dass diese „Schwarzmarkt-Exorzisten“ nicht doch mit dem Segen und der Unterstürzung eher fundamentalistisch gesonnener Bischöfe handeln. Vor zwei Jahre machte ein WDR-Hörfunkfeature Furore: Die Rundfunkautoren waren nach eigenen Angaben in zwei Jahren bei acht Exorzismen zugegen gewesen. Drei Exorzismusfälle bestätigt die Erzdiözese Paderborn.
Pikant ist, dass der „Teufelsaustreiber aus Bayern“, der auch in außerbayerischen Bistümern, darunter Paderborn, tätig geworden sein soll, angeblich durch den Augsburger Bischof Walter Mixa beauftragt wurde. Mixa äußerte sich dazu nicht. Allerdings ist es vielsagend, dass der Sprecher des Augsburger Bischof, Goldt, den Exorzimus verteidigte und dabei den „kleinen“ und den „großen“ Exorzismus in meiner Ansicht nach verharmlosenden Weise durcheinanderbrachte: Bei der Austreibung von Dämonen und bösen Mächten handele es sich heute im kirchlichen Rahmen um Gebete mit der Bitte um Befreiung vom Bösen, wie dies zum Beispiel auch im Vater Unser enthalten sei. Bei jeder Taufe werde ein Exorzismus-Gebet gesprochen, das den Täufling den Mächten des Bösen entziehe. Der (von Ratzinger erlaubte!) Exorzismus nach dem alten „Rituale Romanum“ geht da doch ganz anders zur Sache!
Hierzu:
Exorzismus in Deutschland Bistum Eichstätt untersagt Teufelsaustreibungen (br-online)
Die dunkle Macht des Exorzismus greift um sich (welt.de)
Marcus Wegner (2009): Exorzismus heute. Der Teufel spricht deutsch. Gütersloher Verlagshaus, München.
Besprechung des Buches: Exorzismus in Deutschland (GWUP)