Schriftlose keltische Kultur?

9. Dezember 2010 | Von | Kategorie: Wissenschaft

Ein schier unausrottbares Klischee ist das der „schriftlosen keltischen Kultur“.
Wie dieses Klischee aufkommen konnte, ist nicht ganz klar, denn sogar Julius Caesar schrieb in seinem „Gallischen Krieg“ lediglich, dass die Druiden ihr Wissen nicht niederschrieben, sondern nur mündlich weitergaben. Ansonsten hätten die Gallier sich der griechischen Schrift bedient – was durch archäologische Funde bestätigt wird.
Relativ bekannt sein müsste auch das „inselkeltische“ Ogam, ein im frühen Mittelalter in Irland und einigen Regionen Britanniens verwendetes Schriftsystem. Trotzdem: selbst in populärwissenschaftlichen Artikeln tauchen immer wieder die „schriftlosen“ Kelten auf.

Den Mythos der „edlen Wilde ohne Schrift“ nimmt dieser Artikel der „Wiener Zeitung“ kurz gefasst, aber fundiert, auseinander: Und sie schrieben ja doch.
Besonders wichtig erscheint mir diese Feststellung:

Eine Schrift aber, die in Esoterik und Mittelalterromantik „den Kelten“ oft zugeschrieben wird, haben diese definitiv nicht verwendet: Runen. Dass heute dennoch sogenannte keltische Runen-Orakel verkauft werden, hat wohl auch den Grund, dass sich nach der Ära des Nationalsozialismus die Klischeebilder von antiken Kelten und Germanen zur Vorstellung einer Art weiser Barbaren vermischt haben – hochzivilisiert und doch schriftlos. Im Einklang mit der Natur sollen sie gelebt haben, bis die Römer das Paradies zerstörten.

Zwar wurde weder die „Keltomanie“ noch die „Germanenideologie“ von den Nazis erfunden, aber trotzdem sind die heutigen Klischees ohne die Nazis kaum vorstellbar. Einerseits, weil die „edlen arischen Vorfahren“ in der Nazizeit massiv propagandistisch unters Volk gebracht wurden – wobei dann auch die Unterschiede zwischen Kelten und Germanen großzügig unter den Tisch fielen. Anderseits, weil mitteleuropäische Geschichte „bevor die Römer kamen“ nach der Nazizeit einige Jahrzehnte lang „anrüchig“ war und gemieden wurde, oder die populären Darstellung von Barbarenklischees überlagert wurden. Der Effekt war, dass bestehende falsche Vorstellungen nicht korrigiert wurden.

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