Reden über Bäume

21. Mai 2011 | Von | Kategorie: Gjallarhorn Weblog

Zwei Fragen, die ich immer wieder höre und lese.
Eine an die Nornirs Ætt: „Warum kümmert ihr euch so viel um Politik und versucht ihr euch als heidnische Antifa zu profillieren?“
Eine an mich: „Warum erwähnst du so oft die Spiritualität und schreibst trotzdem so selten über spirituelle Themen?“

Beide Fragen haben mit Zeiten wie diesen zu tun:

Für Zeiten wie diese / Singen wir Lieder /
Damit sie nicht bleiben so, wie sie jetzt sind.

Sie haben zu tun mit Berthold Brechts berühmter Zeile aus dem Gedicht “An die Nachgeborenen”:

Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist – Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt?

Noch sind die Zeiten nicht so schlimm wie damals, als Brecht sein Gedicht im Exil – auf der Flucht – schrieb. Als in Deutschland ganz gewöhnlichen Menschen anderen Menschen, mit gutem Gewissen ihre Pflicht erfüllend, die Hölle auf Erden bereiteten. Als Massenmord Staatsziel war. Wo das Gewissen als „jüdische Erfindung“ und moralischer Skrupel als Feigheit galten. Gerechtfertigt nicht zuletzt durch ein „Germanentum“, in dem kein „alter Germane“ sich wiedergefunden hätte. Es ist keine bloße Vermutung, dass zur Zeit der Herrschaft der scheinheiligen Scheingermanen, in Nazideutschland, mehrere Mitglieder der Nornirs Ætt um ihr Leben hätten fürchten müssen – für das, was sie sind, nicht allein dem, was sie denken. Es ist leider keine Mutmaßung, dass es heute noch sich auf unsere Götter berufende Menschen gibt, die einige aus unserer Heilsgemeinschaft am liebsten umbringen würden – aus dem heraus, was in Unmenschens Sprache „gesundes Volksempfinden“ genannt wurde.

Aber Brecht hat grundsätzlich auch heutzutage recht. Weil – in Deutschland und anderswo – scheibchenweise Demokratie und Menschenrechte demontiert werden.
Was Brecht meint, ist die Flucht ins „Unpolitische“. In „unverfängliche“ Gesprächsthemen. Anstelle von „Bäume“ könnte auch stehen: Prominientenklatsch. Mode. Urlaubsziele. Kosmetiktipps. Kuriositäten. Tanz-, Sing-, Koch- und Schönheitswettbewerbe. Gegen diese und ähnliche Dinge ist an und für sich nichts zu sagen. Außer, dass sie so auffällig viel Platz in unseren Medien einnehmen …
Abgesehen von all dem ist es nicht immer, wenn über „Bäume“ geredet wird, ein Ausweichen vor den Gefahren und Übeln unserer Zeit: Amazonas-Regenwald: Illegale Abholzung um 540 Prozent gestiegen.

Eine dritte Frage, gestellt von einem Antifaschisten: „Muss man denn eine Naturreligion der Gegenwart eigentlich an „altnordischen Mythen“ (die wir ohnehin nur ungenau interpretieren können) aufhängen?“
Die Frage kann jeder Mitstreiter der Nornirs Ætt nur für sich selbst beantworten.
Mir ist Asatru irgendwann zugestoßen. (So ging es, bei allen Unterschieden, den meisten bei uns.)
Was mich persönlich motiviert? Um es frei nach John F. Kennedy zu sagen, nicht, weil Asatru einfach wäre, sondern gerade weil es schwierig ist!
(Was übrigens auch jene Christen motiviert, die die christliche Ethik ernst nehmen. Oder Juden, Hindus, Moslems, Buddhisten, usw., usw. die ihre Ethik ernst nehmen. Und Humanisten sowieso – auch die Atheisten unter ihnen. Womit ich keine Fundamentalisten meine, denn es ist einfach sich selbst im Besitz der alleinigen Wahrheit zu wähnen. Das Bohren dicker Bretter ist nicht einfach, aber solide Holzarbeiten befriedigen.)
Damit ist vielleicht auch die Frage beantwortet, was Duke einst dazu brachte, einen bei Lichte besehen wahnwitzigen Schwur zu schwören, den er später zu einem Lied verarbeitete.
Da ist es in der Tat bequemer, einfach ein paar Schmöker aus dem Esoterik-Regal zu lesen, um anschließend zu behaupten, man sei naturreligiös. Irgendwie jedenfalls.

Bäume sind für uns, weit über ihre ökologische Funktion und weit über jeden in Euro, Dollar oder Yüan zu berechnenden Nutzen hinaus wichtig. Ich denke, jeder von uns kann sehr viel über Bäume und Spiritualität sagen – und noch mehr fühlen, spüren, erleben und erleben lassen.
In den Wald zu gehen. Unter Bäumen. Inmitten von sattem Grün und würziger Luft.
Was ich jetzt tun werde. Ich schweige nicht über Untaten und Missstände, wenn ich einfach in den Wald gehe, die Bäume begrüße – und einfach schweige.

Ich würde aber über Untaten schweigen, wenn ich nur noch über meine Waldspaziergänge reden und bloggen würde.

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