Kultur & Weltbild

Midsommar in Schweden

In den skandinavischen Ländern wird die Mittsommernacht traditionell aufwendig gefeiert. “Dank” Ikea-Werbung ist die “schwedische Mittsommerfeier” auch bei uns ein Begriff.
Unsere schwedische Gastautorin Inger Sveinsson berichtet, wie “midsommar” in ihrer Heimat gefeiert wird.

Die Sommersonnenwende, der längste Tag des Jahres, ist neben dem Julfest auch der Höhepunkt des germanischen Jahres.
Die Sonnenwende ist eine Übergangszeit, genauso wie die Dämmerung, die die Nacht vom Tag trennt. Sie ist auch eine Schwelle nach deren Überschreitung die Tage kürzer werden. Es geht wieder auf das Winterhalbjahr zu. Aber zunächst folgt die wärmste Zeit des Jahres, dann die Erntezeit. Das Wachstum ist an seinem Höhepunkt angekommen, es herrscht Fülle und Reife. Zwischen Mittsommer und Frühherbst lag für unsere Vorfahren die reiche Zeit des Jahres – aber auch wegen der Ernten eine arbeitsreiche Zeit, die wenig Zeit zum Feiern ließ. Mittsommer liegt noch vor der Heuernte, man hatte also Zeit für ein großes Fest.

Das Fest wurde unter freiem Himmel gefeiert. Wie bei allen Sonnenfesten spielte das Feuer eine große Rolle. So wurden auf Hügeln und am Strand Sonnwendfeuer angezündet, wie noch heute beinahe überall im Norden. Wahrscheinlich brachte man Rauchopfer. Sicherlich wurde auch um das Feuer getanzt, vermutlich im Kreis und im Uhrzeigersinn. Dass kräftig geschmaust und getrunken wurde, ist anzunehmen.
Aus welcher Zeit der Brauch, brennende Reifen, Symbole für das Sonnenrad und den kreisförmigen Weg alles Lebens, Berghänge und Hügel hinunterrollen zu lassen, stammt, ist umstritten. Vielleicht ist er nur eine Neuschöpfung der Romantik.

Die Pflanze, die mit diesem Fest in besonderem Zusammenhang steht, ist das Johanniskraut. Man sagt, an diesem Tag habe es seine größte Heilkraft. Deshalb wurde es besonders an diesem Tag gesammelt.

Wie kann es anders sein – auch dieses Fest wurde von der Kirche „zwangsadoptiert“ und umgestaltet. Sie musste zu diesem Zweck sogar den Johannistag verlegen, damit er näher an die Sonnenwende rückte.

Midsommar in Schweden
Midsommar in Schweden? Nach dem Klischee sieht das etwas so aus:

Zeit: Heller Nachmittag, strahlend schönes Sommer-Wetter.
Ort: Wohl irgendwo in Schweden.
Barfüßige Mädchen in kurzen weißen Kleidchen tanzen um einen Maibaum, Blumenkränze im blonden Haar. Dazu Fiedel-Musik und eine Volkstanzgruppe in malerischen Trachten. Und schwedische Männer in wenig geschmackvollen kurzärmligen Hemden, Bierhumpen in der Hand und trotz der frühen Stunde hackevoll besoffen.

Ganz falsch ist das nicht. Das Klischee wird in Deutschland durch die Werbung verbreitet. Ziemlich humorvoll durch die eines schwedischen Möbelhauses, das vor allem in Polen produziert, und reichlich humorlos vom schwedischen Tourismusbüro.
Aber vielleicht sehe ich das falsch, vielleicht hat auch die schwedische Tourismuswerbung Humor. Immerhin habe ich einen guten Witz in einem Faltblatt unter „Midsommar“ entdeckt:

„Besucher sind immer gern willkommen, doch sollten sie eines beachten: So ausgelassen man hier auch feiern mag, Alkohol ist für die Schweden nicht drin. In der Öffentlichkeit greift hier niemand zur Flasche.“

Das moderne Midsommarfest wird in Schweden nicht termingerecht zum 21. Juni, sondern am Wochenende danach gefeiert.
Die Feiern beginnen Freitag-Nachmittag – midsommarafton – und dauern bis in den Samstag, midsommardag.
Da Schweden ein sehr ausgedehntes Land ist unterscheiden sich die Bräuche in den Landschaften sehr. So mehr nach Norwegen und Finnland hin entfacht man wie eigentlich überall in den nordischen Ländern große Feuer. Der verspätete Maibaum (korrekt: „midsommarstång“ aber auch viele Schweden nennen ihn „majstång“) kam im Spätmittelalter nach Schweden, doch ist das Errichten eines Phallossymbols ein eindeutig heidnischer Brauch. Die Sitte Midsommar mit einem Maibaum statt mit einem Feuer zu feiern, stammt ursprünglich aus dem mittelschwedischen Dalarna, genauer gesagt, aus Siljansbygd (so heißt die Gegend um den Siljansee). Dort wird bis heute besonders heftig Midsommar gefeiert. In anderen Teilen Schwedens wird Dalarna-Midsommar mit mehr oder weniger großem Erfolg kopiert.
majstång
Spitze einer Majstång
In Dalarna ist Schweden in etwa so, wie sich Ausländer, die nie in Schweden waren, sich Schweden meistens vorstellen: Bunte Holzhäuser, geschnitzte rotlackierte Dalarpferdchen, bewaldete Berge, große Seen, zu Volksfesten bunte Trachten und Fiedler.
Vom Aufwand her ist Dalarnas Midsommar mit Weihnachten vergleichbar. Tagelang wird Midsommar vorbereitet. Häuser, Gärten, selbst Autos werden mit Birkengrün geschmückt. Überall brummen die Rasenmäher. Wenn das Wetter mitspielt, was entgegen der Werbung nicht immer der Fall ist, werden in den Gärten die Tische festlich gedeckt. Unvermeidlich: überall die die blauen Schwedenfahnen mit dem gelben Kreuz. (Ja, wir haben es mit den Fähnchen!)
Durch die blühenden Wiesen stapfen Kinder und pflücken eifrig und mitunter zum Kummer der Naturschützer massenweise Wildblumen, die sie zu Kränzen für den Kopf verarbeiten.

Am Freitag wird der bereits erwähnte Maibaum geschmückt. Er ist wie sein wirklich zum Maifest aufgestelltes deutsches Gegenstück ein altes germanisches Sonnen- und Phallossymbol. Er hat die Form eines Kreuzes, das übrigens nicht vom christlichen Kreuz, sondern vom Sonnenrad her kommt, an dem zwei Kränze hängen. Der ganze Baum ist mit Laub und Blumen überzogen. Alle helfen beim Schmücken des Maibaums, indem sie Blumen und Birkenzweige pflücken und ihn gemeinsam bekleiden. Danach wird der Baum aufgerichtet. Vor allem Kinder tanzen um ihn herum. Midsommar ist am Tag ja überhaupt ein Kinder- und Familienfest.
Manche Leute tragen auch Trachten und zwar nicht nur in den Touristenorten. Oft kommen auch einige Spielmänner, die Ziehharmonika und Fidel spielen. Einige besondere Lieder, wie zum Beispiel „Små grodorna“ („Die kleinen Frösche“) werden gesungen. (Über den dazugehörigen Froschtanz machen sich vor allem deutsche Touristen gerne lustig).

Dalarna liegt schon recht weit im Norden, das heißt, zu Midsommar wird es nicht richtig dunkel, weshalb dass man oft die ganze Nacht durchfeiert. Man wünscht einander „Trevlig Midsommar“ („Frohen Mittsommer“) und es herrscht allgemein eine sehr gute Stimmung.
Krönender Abschluss des Mittsommar-Festes in Dalarna ist der Sonntagabend mit seinem Tanz auf den Brücken. Rund um den Siljansee wird auf den kleinen Anlegebrücken und Bootsstegen getanzt.
Typische Midsommar- Speisen sind neue Kartoffeln, eingelegte Heringe mit saurer Sahne mit Kräutern, vor allem Dill. Viele Leute trinken zum Essen gerne ein Gläschen und zwei oder auch drei Akvavit oder Wodka, trotz der atemberaubend hohen Schnapspreise. Danach gibt es Erdbeeren mit Schlagsahne.
In vielen schwedischen Städten und Dörfern werden in Parks organisierte Midsommar-Feiern abgehalten, die sich am Darlarna-Vorbild orientieren. Selbstverständlich gibt es auch im Siljansbygd reichlich viele organisierte Feiern, die reine Touristenspektakel sind.

Feiern im privaten Kreis unterscheiden sich dagegen nicht sehr von deutschen Sommerfesten.
Man trifft sich nachmittags zum Essen – bei gutem Wetter möglichst im Garten. Abends wird dann gemeinsam gegrillt. Die anschließende Party, die bis zum Morgen andauert (richtig dunkel wird es ja nicht), hat mit traditionellem Brauchtum nicht viel zu tun.
Die Kehrseite der Midsommar-Feierlichkeiten ist der oft ungezügelte Alkoholkonsum – speziell unter den Jüngeren. Irgendwo musste ich lesen: „Mittsommer ist jener Tag im Jahr, an dem sich statistisch gesehen 80% der Schweden bis zum Affenstadium vollaufen lassen“. Leider ist das keine Verleumdung! (Soviel zu der Behauptung des Tourismusbüros. Es ist wohl was dran an der Theorie mit den Parallel-Universen.) Ich will nicht verschweigen, dass vor allem in größeren Städten fast jedes Jahr auch Tote und Verletzte nach Midsommar zu beklagen sind. Teilweise durch Schlägereien und Messerstechereien, teilweise aber auch durch Badeunfälle betrunkener Schwimmer.

Alte schwedische Midsommar-Bräuche
Fruchtbarkeit steht im Mittelpunkt des Midsommar-Festes.
So gibt es viele Rezepte, wie die jungen Frauen zu einem Mann kommen können. Brot backen hilft, und zwar zu gleichen Teilen Salz wie Mehl (!) Wenn die Gute dann träumt, wird derjenige ihr Mann, der ihr im Traum Wasser zu trinken gibt.
Öfter wird ein anderer Brauch ausgeübt. Die Mädchen pflücken sieben oder neun verschiedene Sorten von Blumen legen diese unter das Kopfkissen. Wer das macht, träumt in der Nacht angeblich von dem zukünftigen Ehemann. Idealerweise pflückt man die Blumen nackt und rückwärts gehend, man darf dabei nicht reden. Die Blumen sollen solche sein, die in der Nacht nicht ihre Blüten schließn, sondern offen bleiben.
Noch eindeutiger in heidnische Zeiten verweist ein Brauch, der früher angeblich in einem kleinen Ort in Dalarna, in Bingsjö, ausgeübt wurde. Die jungen unverheirateten Frauen versammelten sich in der Mittsommernacht in einer Scheune. Dann zogen sie sich nackt aus und gingen rückwärts über eine Brücke, die sie mit einem Besen aus Birkenreisig fegten, während sie scheue Blicke in die Umgebung warfen, denn sie würden da ihren Zukünftigen erblicken können. (Man kann sich denken, wo die jungen Männer Aufstellung nahmen.)
Zu Mittsommer steckt magische Kraft in allem, was wächst – daher die vielen Blumenkränze und Sträuße.
Trevlig Midsommar!

Text von Inger Sveinsson, redaktionell bearbeitet von Martin Marheinecke.

4 Gedanken zu „Midsommar in Schweden

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert