Pippi Langstrumpf und der Kanakenkönig

9. Januar 2013 | Von | Kategorie: Gjallarhorn Weblog

Nun ist das „N-Wort“ auch aus der „Kleinen Hexe“ gestrichen worden – wie schon einige Jahre zuvor aus „Pippi Langstrumpf“. Neben eher geringfügigen Änderungen gibt es auch immer wieder Versuche, Kinder- und Jugendbuchklassiker sprachlich und inhaltlich den heutigen Verhältnissen anzupassen, sie etwa in „gerechter Sprache“ umzuformulieren.
An sich sind „zeitgemäß überarbeitete“ Kinder- und Jugendbücher nichts Neues. Vergleiche ich z. B. Karl Mays „Winnetou II“ in der Fassung von 1892 mit modernen Neuauflagen, dann fallen nicht nur in der Orthographie erhebliche Unterschiede auf. Solche Bearbeitungen können sinnvoll sein – zum Beispiel um jungen Lesern das Textverständnis zu erleichtern – aber auch fragwürdig , wie etwa politisch-weltanschauliche „Korrekturen“.

Wenn das „N-Wort“ und ähnliche Ausdrücke aus Kinderbüchern herauseditiert werden, dann stellt sich die Frage, ob es wirklich um zeitgemäße Sprache geht, darum, beleidigende, herabsetzende oder rassistischen Ausdrücke zu vermeiden, oder eben doch darum, einen weltanschaulichen „Spin“ in Kinderbüchern unterzubringen.

Oft heißt es solche Textänderungen seien der „Political Correctness“ geschuldet. Das stimmt meiner Ansicht in den meisten Fällen nicht. „Political Correctness“ wird zwar gerne und fälschlich mit „Sprachregelungen“ gleichgesetzt, aber der Kern der „PC“ ist die Selbstbestimmung der Betroffenen – oder sollte es wenigstens sein. Politisch korrekt wäre es, eine Volksgruppe in einem Kinderbuch so zu bezeichnen, wie sie selbst genannt werden möchte.
Im Falle von „Pippi Langstrumpf“ wäre also statt des durch „Südseekönig“ ersetzten „Negerkönigs“ der Ausdruck „Kanakenkönig“ völlig politisch korrekt – denn „Kanaken“ ist die Selbstbezeichnung der Ureinwohner verschiedener Pazifikinseln, zum Beispiel Hawaiis.
Ein typisches Missverständnis ist es, „politisch inkorrekte“ Volksgruppenbezeichnungen für Beschimpfungen oder Beleidigungen zu halten. „Eskimo“ ist, anders als es ein populäres Gerücht wissen will, nach dem „Eskimo“ „Rohfleischfresser“ heißen solle, zum Beispiel überhaupt nicht beleidigend oder herabsetzend. So nannten ein Nachbarvolk, die Innu-Montagnais, die Inuit, es bedeutet „Menschen, die eine andere Sprache sprechen“. Kanada ersetzte im Zuge der „Poltitical Correctness“ diesen überkommen Begriff durch die Eigenbezeichnung Inuit (Einzahl Inuk, was, wie praktisch alle Eigenbezeichnungen aller Menschen schlicht „Mensch“ bedeutet), das ist alles. Ein Gegenstück sind die „Kanaken“, wo eine Selbstbezeichnung in anderen Zusammenhängen zum Schimpfwort wurde.
Die größte Tücke der Eigenbezeichnung ist allerdings, dass einige Volksgruppenbezeichnungen, je nach Kontext, neutral oder sogar von den so bezeichneten akzeptiert sein können, anderswo und in anderen Situationen jedoch als schwer beleidigend empfunden werden. Das ist zum Beispiel beim „Zigeuner“ der Fall. In Deutschland ist das Wort nicht akzeptabel, auch wenn sich Roma z. B. in Rumänien selbst so nennen. Ein Blick in die Geschichte zeigt, wieso: der Gebrauch des „Z-Wortes“ war und ist im deutschen Sprachraum seit Jahrhunderten zutiefst rassistisch. Im deutschen Kaiserreich war „Zigeuner“ im amtlichen (!) Sprachgebrauch gleichbedeutend mit „kriminelle Landfahrer“, übrigens unabhängig davon, ob die so bezeichneten Landfahrer wirklich Sinti oder Roma waren oder zu anderen Volksgruppen gehörten. „Ein Pack, ein Sack, wollen wir nicht, die sollen verschwinden!“ In der Nazizeit wurde „verschwinden“ zu ermorden und ausrotten konkretisiert. Da hilft der Hinweis, dass anderswo „Zigeuner“ nichts Schlimmes sein, nicht weiter – das ist eben anderswo, nicht im Land der Mörder!

Ja, und dann gibt es noch die „Geusenwörter“. Geusenwörter (aus dem Niederländischen geuzennaam), auch „Trotzwörter“ genannt, sind Wörter, die ursprünglich eine Personengruppe beschimpfen sollten, von dieser aber positiv umgemünzt werden. „Geuzen“ nannten sich die niederländischen Freiheitskämpfer während des Achtzigjährigen Krieges um ihre Unabhängigkeit von Spanien (1568–1648) selbst, nachdem sie von ihren Gegnern nach dem französischen Wort gueux für Bettler so verspottet wurden. Wenn wir uns „Heiden“ nennen, dann ist das ein klassisches Geusenwort, weitere Beispiele wären „Hexe“, „Nerd“, „Schwuler“.

Wenn sich Schwarze im Ghetto gegenseitig „Nigger“ nennen, dann ist das ein Geusenwort – aber eines, das „Weiße“ tunlichst nicht ungefragt in den Mund nehmen sollten!

Was heißt das für Kinderbücher? Vor allem heißt das: abwägen und auf den Einzelfall achten. „Eskimo“ ist meistens akzeptabel, „Neger“ in fast allen Fällen nicht – wobei es eine inhaltliche Verfälschung wäre, in Mark Twains „Huckleberry Finn“ das „N-Wort“ zu ersetzen.

Über die Volksgruppenbezeichnungen hinaus hielte ich es für gut, das Selbstbezeichungsprinzip auch bei Geusenwörtern durchzuhalten, selbst dann, wenn sie „Schimpfwörter“ sind, die „man nicht sagt“. Ein Schwuler sollte auch im Kinderbuch „schwul“ genannt werden, auch – oder gerade weil – auf den Schulhöfen „schwul“ wieder eine der schlimmsten Beleidigungen ist, die sich Jungs gegenseitig an den Kopf werfen. Eine (neue) Hexe ist eben auch keine „Alternativreligiöse“ ( eine Hexe als Märchenfigur erst recht nicht).
Was meiner Ansicht nach gar nicht geht, sind euphemistische Ausdrücke, gerade in Kinderbüchern. Kinder merken nämlich sehr wohl, wenn Erwachsene sich um etwas herumdrücken oder verniedlichen.

Tags: , , , ,

Ein Kommentar
Hinterlasse einen Kommentar »

  1. Da gerade eine verbissene Debatte über das Thema dieses Beitrags geführt wird, und weil auch meine Formulierungen kritisch hinterfragt werden (wenn auch leider nicht hier – wozu hat unser Blog eine Kommentarfunktion?):

    Ich schreibe das „N-Wort“ und das „Z-Wort“ vor allem deshalb aus, weil überraschend viele Leser gar nicht kapieren würden, worum es geht, wenn ich nur diese Kürzel gebrauchen würde. Außerdem können auch Kürzel ein Mittel der Entmenschlichung sein: in Nazideutschland wurden „Zigeuner“ im Jargon der Mord- und Vernichtungsbehörden mit „Z.“ wie in „Z-Sonderaktion“, „Z-Beauftragter“ oder „Z-Kartei“ abgekürzt. (Was sich im vernachteten und vernebelten Nazi-Sprech hinter harmlos klingenden Begriffen wie „Sonderaktion“ verbergen kann, ein „Beauftragter“ alles anstellte und in einer „Kartei“ stand, dürfte hoffentlich allgemein bekannt sein.)

    Mein Vorschlag „Kanakenkönig“ in „Pippi Langstrumpf“ ist insofern ernst gemeint, weil er sehr gut zum Spießerschreck Pippi passen würde, und wie gesagt nicht einmal politisch inkorrekt wäre. Den meisten deutschen Pippi-Langstrumpf-Lesern ist gar nicht bewusst, dass das schwedische Original gegenüber der gängigen deutschen Übersetzung deutlich schärfer ist, Pippi noch frecher und anarchischer.
    Ich würde es als deutscher Herausgeber dennoch nicht so halten, weil „Kanake“ leider nicht nur Selbstbezeichung und Geusenwort, sondern auch ein gängiges, meist rassistische gemeintes, Schimpfwort ist. Kinder reflektieren Texte nicht: „Wenn Pippi das sagt, darf ich das auch sagen.“ In anderem Zusammenhang finde ich es übrigens gut, wenn Kinder sich Pippi zum Vorbild nehmen – „brave“, gut dressierte, früh verbogene Kinder gibt es leider immer noch viel zu viele. Ich bin mir übrigens sehr wohl darüber im Klaren, dass Astrid Lindgren in „Pippi in Taka-Tuka-Land“ unreflektiert und unbeabsichtigt kolonialistisches Denken reproduzierte – „Weißer“ Herrscher über „Eingeborene“, die sich das gern gefallen lassen. Trotzdem halte ich Pippi Langstrumpf, wie allgemein Astrid Lindgrens Kinderbücher, für nicht veraltet. Anders als viele andere „Kinderbuchklassiker“, die z. B. ein heute nicht mehr hinnehmbares Frauen-, Familien- und Gesellschaftsbild vermitteln und die deshalb nicht Kindern im Vorschulalter vorgelesen werden sollten.
    Wir brauchen sowohl alte Märchen und Kinderbuchklassiker (wenn nötig, sprachlich angepasst, und auch nach sorgfältiger Auswahl danach, welches Menschenbild sie vermitteln) wie auch neue, gute, interessante Kinderbücher!
    Nebenbei: Was wir auf keinen Fall brauchen, sind Bücher, wie sie Michael Ende in seinem Buch „Die Unendlichen Geschichte“ – auch einem Kinderbuchklassiker, wenn auch nicht für die ganz Kleinen – so beschrieb:

    Er mochte keine Bücher, in denen ihm auf eine schlechtgelaute und miesepetrige Art die ganz alltäglichen Begebenheiten aus dem ganz alltäglichen Leben irgendwelcher ganz alltäglicher Leute erzählt werden. Davon hatte er ja schon in Wirklichkeit genug, wozu sollte er auch noch davon lesen? Außerdem haßte er es, wenn er merkte, daß man ihn zu was kriegen wollte. Und in dieser Art von Büchern sollte man immer, mehr oder weniger deutlich, zu was gekriegt werden.

    Kinder in Bastian Balthasar Bux‘ Alter sind nicht schließlich nicht blöd!

    Ein weiterer Punkt: In dieser ganzen verdammten Aufgeregtheit über eine kleine, mit Einverständnis des Autoren, vorgenommen Änderung in einem Kinderbuch wird praktisch überhaupt nicht differenziert. „Alles oder nichts!“, „Keine Kompromisse“, „100 % sind das Minimum – notfalls besser 0% als 80%!“ usw. – und alles vorzugsweise auf der Meta-Ebene, weit weg vom konkreten Einzelfall. Und immer droht gleich – mindestens! – der Untergang der abendländischen Kultur.

    Ein Kinderbuch ist etwas anderes als ein Jugendbuch und ein Jugendbuch wieder etwas völlig anderes als eine Werksausgabe für erwachsene Literaturfreunde.
    Kleine Kinder kennen keinen historischen Kontext, unter „das war vor 100 Jahren“ können sie sich nichts vorstellen, mit „die gesellschaftliche Verhältnisse in den Südstaaten der USA vor dem Bürgerkrieg waren eben so“ sind auch ältere Kinder überfordert. Jugendliche in dem Alter, in dem „Huckleberry Finn“ interessant sein könnte, können das allerdings schon differenzieren. (Oder sie sollten es wenigstens können.)
    Trotzdem sind altersgerechte Überarbeitungen für diese Zielgruppe völlig in Ordnung, auch ich habe z. B. „Moby Dick“ zuerst in der gekürzten und sprachlich modernisierten Fassung für „Leser ab 12“ gelesen, eine werkgetreue Übersetzung hätte ich als „langweilig“ und „unverständlich“ schnell beiseite gelegt. (Übrigens war ich da gerade mal neun – soviel zu Altersempfehlungen auf Buchrücken.)

    Was mir auch zu kurz kommt ist der Unterschied zwischen rassistischen Autoren und Autoren, die keine Rassisten sind, aber unreflektiert die rassistisch gefärbten Sprache und den Alltagsrassismus ihrer kulturellen Umgebung übernehmen. Karl May zum Beispiel war entschiedener Gegner des Rassismus und Kolonialismus seiner Zeit, was er auch in viele seiner Bücher einbrachte – aber trotzdem stecken seine Bücher voller rassistischer Klischees, manchmal richtig üblen Kalibers!

Schreibe einen Kommentar