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Mittwoch, Juni 01, 2005

 
Wissenschaft / Gesellschaft

Rassenlehre - Glaubenssätze des letzten Jahrhunderts

Eine unsägliche Verquickung von moderner Genforschung und überkommenen Rassetheorien holt letztere, obwohl doch schon zu Recht tief in die Kategorie "Irrtümer der Anfänge von Wissenschaft" versenkt, wieder auf den Tisch. Was bei halbwegs vernunftbegabtem Nachdenken auffallen sollte und auf anderen (nicht ideologisch untergrabenen) wissenschaftlichen Gebieten auch nie passieren könnte - es würde ja auch nie jemand auf die Idee kommen, die olle "Erde ist der Mittelpunkt des Universums"-Theorie ernsthaft wieder hervozukramen, nachdem die Gravitation als "Ordnungsmechanismus" des Weltalls weithin anerkannt wurde, passiert regelmäßig ausgerechnet mit diesem Unfug mit den Rassen immer wieder.

Nun gab es im "Spektrum der Wissenschaft" zwei Artikel (MAMSHAD, MICHAEL J. UND STEVE E. OLSON. 2005. Menschenrassen—eine Fiktion? Spektrum der Wissenschaft Mai 2005: 90-95. und HAEN, EKKEHARD. 2005. Das Genom ist nur die eine Seite. ebd.: 96-97), der vor allem Ethnologen zur Weißglut brachte. Frau Dr.Herzog-Schröder sah sich zu einem Leserbrief veranlasst, in dem sie u.a. klar stellte:
[...] es zeugt von historischer Kaltschnäuzigkeit, den Terminus 'Rasse' als Synonym von 'Ethnie', 'Population' oder 'Bevölkerungsgruppe' in den Kontext medizinischer Fürsorglichkeit zu kleiden. Wozu dient eine Forschung denn eigentlich wirklich, die das menschliche Genom weiter und weiter durchwühlt, um schlussendlich doch noch Menschenrassen zu identifizieren?

Die vorgestellte Forschung zielt auf folgendes: es soll differenziert werden. Menschen sollen unterschieden, klassifiziert, geordnet werden. Es soll—auf Teufel komm heraus—diskriminiert werden! Die Begründung dieses Treibens, die auf eine bessere Wirksamkeit von Medikamenten abzielt, kommt da als armseliges Feigenblatt daher. Das wird in den Ausführungen von Prof. Haen erfreulicherweise deutlich. [...]

Wohin solche Verquickungen letztenendes führen sind Bücher wie das nicht etwa vor 100 Jahren sondern tatsächlich neu erschienene "Race. The Reality of Human Difference", Westview Press, Boulder, Colorado 2004. Vincent Sarich (Professor Emeritus in Berkely) und Frank Miele behaupten, dass der Intelligenzquotient einer "subsahrarischen Rasse" ziemlich konstant 70 Punkte betrage und damit schwarze dümmer als weiße seien, wie man im ethnolog erfährt. Überhaupt den IQ als "Maßstab" für irgendwelche Vergleiche und Bewertungen anzusetzen setzt freilich schon einen entsprechend niedrigen IQ voraus. In der Süddeutschen wurde das Buch rezensiert - und "kapitale" methodologische Fehler herausgearbeitet, z.B. eben im Widerspruch mancher detaillierten Argumentation der Autoren gegenüber der völlig unkommentierten (missbräuchlichen) Verwendung des "Messinstrumentes" IQ, der als Kernargument dient, aber als ein solches im Gegensatz zu Nebensächlichkeiten, die breit und ausführlich abgehandelt werden, nicht weiter beschrieben wird, weder als Instrument selbst, noch in der Frage, wie es angewandt wurde um auf diesen ominösen Wert zu kommen:
[...] Nun sind aber alle Intelligenztests – die aus der Schulpsychologie stammen – so geeicht, dass sie als Richtwert 100 den Durchschnitt der gemessenen Gruppe voraussetzen; nur im Verhältnis dazu besagt der IQ irgend etwas. Wenn aber die gesamte Gruppe – in diesem Fall nicht weniger als ein kompletter Kontinent – unter ihrem eigenen Durchschnitt liegen soll, dann darf man einen methodischen Fehler vermuten, und zwar einen kapitalen. [...]

Rezensent Burkhardt Müller schließt daraus folgerichtig:
Wenn ein Intelligenztest, der den allgemeinen Lebenserfolg der Probanden prognostizieren soll, dies so grundsätzlich überhaupt nicht tut, gibt es offenbar nur zwei Möglichkeiten: Er misst nicht, was er zu messen vorgibt; oder was er misst, ist unerheblich.

Die Autoren des Buches fanden freilich nicht zu dieser Erkenntnis. Merke: nur weil jemand als Wissenschaftler arbeitet heißt das noch lange nicht, dass seine Erkenntnisse wissenschaftliche wären. Oder auch nur seriös. Manchmal ist es auch einfach nur ideologisch getriebener Unfug aus der Mottenkiste des letzten Jahrhunderts...

von Hellblazer 10:49 | Einzelansicht & Kommentare (2)


Kommentare:

Die "fröhliche" Verbreitung der allergruseligsten Stereotype ist leider in der modernen Biologie immer noch keineswegs selten wie die Vorgänge am Institut für Humanbiologie an der Uni Hamburg illustrieren.
Ein äußerst empfehlenswertes Buch hierzu ist aus diesen Protesten heraus entstanden:
AG gegen Rassenkunde (Hg.): Deine Knochen - Deine Wirklichkeit. Texte gegen rassistische und sexistische Kontinuität in der Humanbiologie. 1998 in der Reihe antifaschistischer Texte im Unrast-Verlag erschienen. Kostete damals 16,80 Mark und bietet einen guten und auch für Nicht-BiologInnen verständlichen Einblick.
Und wen's besonders interessiert - ich hab zum Thema Zwischenprüfunggemacht und kann mit interessantem Material aus dem Bereich der kritischen Naturwissenschaftsforschung aufwarten ;-)

Zu diesem Intelligenz-Quatsch ganz interessant ist auch Robert J. Sternberg, Psychologie-Professor und berühmter Intelligenzforscher an der Yale University. In seinem Buch mit dem grauenhaften deutschen Titel "Efolgsintelligenz" geht er u.a. auf die soziale Konstruiertheit von sog. "analytischer" Intelligenz und den Versuchen ihrer Messung mit gängigen Test ein. Kritisiert wird dort auch die deterministische Theorie von der Vererbung von Intelligenz wie sie z.B. in dem umstrittenen Buch "The Bell Curve" (ca. 1995)postuliert wird.

Grüße vom Nada


Das bestätigt meine Vermutung aus
meinem Aufsatz "Menschenrassen" - allerdings dachte ich, als ich das vor gut 5 Jahren schrieb, ausdrücklich an Wissenschaftler des späten 19. Jahrhunderts:

"Die Rassenforscher des späten 19. Jahrhunderts vermaßen Schädel, untersuchten Nasenformen, Fingerabdrücke und Irismuster, bestimmte den Querschnitt von Haaren, um Menschen anhand winziger anatomischer Merkmale bestimmten "Rassen" zuordnen zu können. Gäbe man den damaligen Rasseforschern das heutige gentechnische Instrumentarium in die Hände, wären sie heilfroh gewesen, da es ihnen ihre "Sortierarbeit" sehr erleichtert hätte. Auf die Idee "Menschenrassen gibt es gar nicht" wären sie wohl trotz der geringen genetischen Unterschiede kaum gekommen. Ihr Weltbild hätte das nicht zugelassen."

http://www.mmsseiten.privat.t-online.de/wt-005.htm

Offensichtlich hinken erstaunlich viele Wissenschaftler ihrer Zeit um mindestens 100 Jahre hinterher.


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