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Samstag, August 21, 2004Gesellschaft Die Sprache bestimmt die Gedanken ...titelt SPIEGEL-Online einen Artikel über eine Studie, die Thesen belegen will, die man auch von mir gerne mal zu hören bekommt, nämlich betreffend der Zusammenhänge zwischen Wahrnehmung und Weltsicht und einem Kernelement einer Kultur neben dem Weltbild: der Sprache. Völker, in deren Sprache bestimmte Ausdrücke nicht auftauchen, leiden an einer gestörten Wahrnehmung: Sie können Konzepte, für die sie keine Wörter kennen, auch nicht verstehen. Offensichtlich bestimmt die Sprache, so eine aktuelle Studie, wie Menschen Realität wahrnehmen [...] schreibt der SPIEGEL. Und beweist damit wiederum ebendiese These, indem er von "gestörter" Wahrnehmung schreibt und damit mit der eigenen Sprache belegt, wie die Realität des SPIEGEL aussieht. Ein Kernpunkt unserer Kultur ist Aristoteles "eine Wahrheit"-Regel: es gibt nur eine Wahrheit und im Rückschluss ist das, was mit dieser nicht zusammenpasst logisch "falsch". Auf die Idee, dass auch die eigene Realität - bzw. das Weltbild, das aus der Weltsicht unter Vorgabe eigener kultureller Elemente - nur eine Realität sein könnte, und nicht etwa die kommt da keiner. Warum auch, man steht ja dort wo die "Wahrheit" ist. Auch zeigt der SPIEGEL hier wunderschön exemplarisch den Umgang mit erstmal neutralen wissenschaftlichen Erkenntnissen: sofort wird eine Wertung und ein Urteil - natürlich immer zu eigenen Gunsten - daraus entwickelt und abgegeben. Lineares Entwicklungsdenken, natürlich mit der eigenen Kultur an der Spitze, die anderen "sind noch nicht so weit", das sind die Topoi, die sich hier zeigen und die die Wahrnehmung und somit das bestimmen, was als "Realität" bezeichnet wird. Dass sich der SPIEGEL hier natürlich auch alter kolonialistischer Klischeevorstellungen bedient und einen ekelhaften (um auch mal ein persönliches Urteil abzuliefern) Kulturdarwinismus erster Kajüte vertritt merkt er dabei freilich schon garnicht. Muss er ja auch nicht, da SPIEGEL sich ja eher "links" positioniert sieht, da ist man per Definition gefeit vor solcherlei Dingen. Das alte Dilemma, das nicht wenige Wissenschaftler gerade aus den Geisteswissenschaften - aber inzwischen ja auch z.B. aus Genforschung und Physik - zu Recht beklagen, wenn deren Ergebnisse, Thesen, Theorien und Hypthesen vor allem von den Medien aufgegriffen und per Küchentischlogik zu Bewertungen von Phänomenen missbraucht werden. Ein Kernpunkt der Kultur "westliches Abendland" scheint zu sein: Selbstreflexion findet nicht statt. Da haben wir nämlich kein richtiges Wort für (drum muss man sich mit Metaphern oder Fremdwörtern aushelfen), befürchte ich... von Hellblazer 15:02 | Einzelansicht & Kommentare (3) Kommentare:
Hallo,
wenn ich es richtig verstehe, geht es in der Studie um ein Volk, in dessen Sprache es keine Zahlworte gibt, und das anscheinend auch kein Konzept für Zahlen hat. (Wobei anzumerken ist, dass dieses Jägervolk auch kaum Verwendungsmöglichkeiten für Zahlen hätte.) Die Mißdeutung dieser zunächst mal wertneutralen Erkenntnisse fängt m. E. schon innerhalb des "Wissenschaftsbetriebs" an: Anhänger der umstrittenen Whorf-Shapir-Hypothese, die davon ausgeht, dass die Art und Weise, wie wir über die Wirklichkeit sprechen, nicht nur unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit verändert, sondern die Wirklichkeit selber, sehen sich durch diese Ergebnisse bestätigt. Wenn die Sapir-Whorf-These des linguistischen Determinismus stimmen würde, wie konnten dann fast alle anderen Sprachen das Zählen und Zahlwörte entwickeln? Es wird m. E. doch wohl eher so gewesen sein, dass eine veränderte Lebensweise zunächst das Zählen (wohl ganz primitiv mit den Fingern) und später Zahlworte hervorbrachte, das also eine veränderte Wirklichkeit eine veränderte Sprache´hervorbrachte, und nicht umgekehrt. Die Whorf-Shapir-These: "Die Sprache bestimmt die Gedanken" (im Sinne eines Derterminismus) ist dann auch Titel des SPIEGEL-Artikels. Dann folgt die zweite Stufe der Mißdeutung: der gerade für den SPIEGEL typische "Gesinnungsjournalismus". Unbewußt, indem der SPIEGEL-Redakteur geradezu kolonialistische kulturelle Vorurteile unreflektiert übernimmt, wie HB so schön zeigt, bewußt, indem er sich für eine Hypothese stark macht, die die Welt form- und planbar erscheinen läßt - in Übereinstimmung mit dem "linksliberalen" Fortschritts- und Volkserziehungsbegriff des SPIEGEls. Das Worf-Shapir für die Selbstreflexion wohl nicht zutrifft, zeigt die Tatsache, dass es tatsächlich Menschen deutscher Muttersprache gibt, die Sebstreflexion betreiben, auch wenn ihnen leider das passende deutsche Wort dafür fehlt ;). Übrspitzt: Determinismus a la Whorf-Shapir als dummer Ausrede verbohrter "Abendländer".
Hehe, ja, das ist schön :-)
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Stimmt, soweit bin ich da garnicht "reingegangen" in diesen Bereicht. Es zeigt sich hier also auch noch ein weiterer "Selbstbeleg" des kulturellen Backgrounds und wie dieser die Wahrnehmung beeinflusst: Neben der Polarität ist es ja auch die Linearität (Evolution, Kausalität), die heutzutage hier "Realitätsbestimmend" (im Sinne der wahrgenommenen Realität) ist. Kombinieren wir das mal, kommt das Konstrukt heraus: "Entweder die Wahrnehmung bestimmt die Sprache oder die Sprache bestimmt die Wahrnehmung" - darüber dürfen die Jungs sich nun streiten. Dass die Indianer da in dem Bericht nicht "zählen können" ist also ein Problem unserer Kultur, ebenso wie das Henne-Ei-Dilemma, auch das ist ein "selbstgemachtes" :-)) |
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